Zitronen im Mondschein
»Es reicht, wenn man sich die Sache einmal ansieht«, sagte sie. »Es ist doch nichts als nur dummes Zeug.«
»Das ist wohl wahr«, knurrte ihr Vater, während er aufstand und sich die Brotkrumen von der Hose wischte. »Rausgeworfenes Geld.«
»Morgen sind sie wieder weg«, sagte Edda, nachdem er die Küche verlassen hatte. Sepp fing wieder an zu betteln, dass er die Vorstellung sehen dürfte, nur einmal, ein einziges Mal. »Aber du nicht, Anton«, wies er den jüngeren Bruder zurecht, als der ebenfalls zu jammern begann. »Du bist noch zu klein.«
Am Nachmittag begann Maria zu warten. Er geschah gegen ihren eigenen Willen und ohne dass sie es sich selbst recht eingestand. Wenn Madame Argent wirklich wollte, dass sie zu ihr kam, so dachte sie, dann sollte sie ihr ein Zeichen geben. Sie sollte ihr noch einmal erscheinen. Madame Argent jedoch tauchte nicht auf, obwohl Maria sich sogar in den Hof setzte, um dort ihre Rüben zu putzen. Denn im Hof war ihr die Frau ja auch beim ersten Mal erschienen.
Sie ging früh schlafen. Es war eine schwüle Sommernacht; sie schwitzte unter dem dicken Federbett. Gegen ihren Willen musste sie an Bruno denken und ob er sich jetzt vielleicht mit der kleinen Blonden traf. Womöglich in der Scheuer hinter der Stöckenburg.
Sie lag lange wach, aber dann schlief sie doch ein.
Als sie wieder erwachte, hörte sie die unterdrückten Schreie. Der Vater schlug die Mutter, dabei verwünschte er sie leise, oder vielleicht verwünschte er auch sich selbst.
Maria konnte die Worte nie verstehen, die er aus sich herauskeuchte, während seine Fäuste auf seine Frau niederprasselten wie die Steine auf den Heiligen Stephanus. Ganz wie der heilige Märtyrer bemühte sich auch ihre Mutter, dass kein Wehlaut, keine Klage über ihre Lippen drang, nur hin und wieder stöhnte sie und wimmerte wie ein Kind. Maria lag in ihrem Bett, schwitzte und wünschte sich, dass ihre Mutter schrie.Wenn sie aber nicht schreit, warum schreie ich dann nicht für sie? dachte sie. Warum stehe ich nicht auf und gehe zu ihnen und versuche wenigstens ihn aufzuhalten?
Weil ich es dann abbekommen würde an ihrer statt, dachte sie. Weil ich feige bin, bleibe ich hier liegen und halte den Atem an, und auch morgen früh werde ich nichts sagen und nichts unternehmen. So würde es immer weitergehen. Dieser Gedanke stand auf einmal ganz klar und deutlich vor ihr. So lange sie lebte, würde sie immer ausharren und schweigen, sie würde zuhören, wie ihre Mutter geprügelt wurde, und später, wenn sie selbst verheiratet wäre, wäre sie es dann, die sich prügeln ließe, während ihre Kinder im Nebenraum lagen und den Atem anhielten.
Sie spürte auf einmal wieder Brunos verächtlichen Blick, wie er über ihr Gesicht wanderte. Du bist nichts, sagten seine Augen. Nichts wert. Vor diesem Blick war sie davongelaufen.
Im Nebenzimmer war es nun still geworden. Ihr Vater hatte aufgehört zuzuschlagen, vielleicht war er vor Erschöpfung eingeschlafen, oder ihre Mutter war ohnmächtig geworden. Maria hörte nur noch ihren eigenen Atem in der Dunkelheit wie den einer fremden Person. Dann war plötzlich dieses Gefühl wieder in ihr, die hungrige, durstige Leere, die sie zum ersten Mal gespürt hatte, nachdem ihr die Frau im Hof erschienen war. Eine quälende Sehnsucht, aber wonach?
Sie schob ihren Körper aus dem Bett. Auf nackten Füßen schlich sie zur Kommode und schlüpfte in ihre Kleider. Was tust du, Maria? fragte sie sich selbst, während sie ihre Wäsche, ihre spärlichen Kleidungsstücke, in einen Leinenbeutel stopfte. Wo willst du hin? Sie steckte ihre Bürste ein, die Schildpattspange fürs Haar und das Kreuz, das sie vor ein paar Jahren zur ersten heiligen Kommunion bekommen hatte.
Ich muss weg von hier.
II.
Im Hof schlug ihr die feuchte Sommernacht ins Gesicht. Sie schlang ihre Arme um den Oberkörper, spürte ihre eigenen Hände am Hals und stellte sich vor, dass sie jemand zum Abschied umarmte. Gott segne dich, Maria. Den Leinenbeutel über der Schulter huschte sie zum Ausgang. Das Tor quietschte leise in den Angeln, sobald der Spalt breit genug war, schlüpfte sie hindurch. Rechts führte der Weg zur Stöckenburg hinauf. Bis zum Morgengrauen konnte sie sich in der Scheuer verbergen. Aber was, wenn Bruno sich wirklich dort mit seiner Neuen traf? Unschlüssig trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie konnte sich das blonde Mädchen nicht in der Scheuer vorstellen, ihren zarten, weißen Körper in dem groben Heu, in dem es
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