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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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jedoch nicht verrückt. Sie fühlte sich klar und ruhig und völlig bei Sinnen. Vielleicht gab es ja doch eine vernünftige Erklärung für das, was sie gestern erlebt hatte. Die Frau war eine vorgezogene Erinnerung. So wie man manchmal meinte, dass man eine Begegnung, eine Unterhaltung, eine Begebenheit schon einmal erlebt hatte, obwohl sich die Sache in Wirklichkeit zum ersten Mal ereignete, so hatte sich Maria gestern an die Frau erinnert, obwohl die eigentliche Begegnung mit ihr erst heute stattgefunden hatte.
    Nein, das war nun wirklich verrückt, eine Erinnerung vor dem eigentlichen Ereignis. Das war schlicht und einfach widersinnig.
    Auf der Manege waren inzwischen zwei kleine schwarze Pferde mit bunten Federbüschen auf den Köpfen eingelaufen. Sie trabten im Kreis und schüttelten auf ein Kommando des Zirkusdirektors die Mähnen und Schwänze und scharrten mit den Hufen. Dann ließ er sie rechnen. Zusammenzählen und abziehen, malnehmen und teilen, die Pferdchen lösten seine Aufgaben mit Bravour. Zwei mal zwei ist 1, 2, 3, 4, nickten diegeschmückten Köpfe. Acht minus fünf ist 1, 2, 3. Die Leute applaudierten, und Marias Gedanken begannen langsam wieder wegzugleiten, aber dann sah sie Bruno.
    Bruno Hochreuther saß genau auf der anderen Seite der Manege. Ob er sie ebenfalls entdeckt hatte? Wie immer, wenn sie ihn sah, hatte Maria den Impuls aufzustehen und wegzulaufen. Stattdessen presste sie ihre Knie zusammen, faltete die Hände im Schoß und richtete den Blick fest auf die Manege. Sie würde nicht fliehen, Bruno hatte schließlich viel mehr Grund sich zu schämen als sie. Oder zumindest genauso viel.
    Ihre Hände schwitzten, sie löste sie wieder voneinander und rieb die Handinnenflächen an ihrem Rock trocken. Den ganzen letzten Sommer über hatte sie sich mit Bruno heimlich hinter der Stöckenburg getroffen. Sie hatten sich beim Maitanz kennengelernt. Bruno war der erste Bursche, der Maria aufgefordert hatte, der erste, mit dem sie überhaupt je getanzt hatte, denn im Jahr zuvor war sie erst sechzehn gewesen, zu jung zum Ausgehen.
    Er hatte ihr gezeigt, wie man Polka tanzt, links herum und rechts herum, das war einfach. Walzer war viel schwieriger, der eine Fuß musste immer zwischen die Füße des Partners, eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, und man musste sich führen lassen. »Das ist überhaupt das Wichtigste«, hatte Bruno ihr erklärt. »Dass die Frau dem Mann folgt, denn wenn sie ihren eigenen Kopf hat und tut, was sie will, dann geraten alle beide aus dem Takt.«
    »Sprichst du nur vom Tanz oder vom Leben?«, hatte sie geantwortet, darauf hatte er nichts gesagt, sondern nur gelächelt.
    Dieses Lächeln – es ärgerte sie immer, weil es so überlegen war, so herablassend. Gleichzeitig jedoch hatte sie ein eigenartiges, flatterndes Gefühl tief in ihrem Leib, wenn er lächelte.
    »Wie heißt du?«, hatte sie ihn gefragt, als er sie zur Tanzfläche führte. Dabei kannte sie seinen Namen längst. Sie hatte ihn so oft gehört.
Hochreuther .
Ihr Vater spuckte ihn aus, wenn er betrunken war.
Hochreuther , dieses Pack, diese Blutsauger.
Den Hochreuthers gehörte über die Hälfte des Landes, das ihrVater bewirtschaftete. »Ich mache die Arbeit, und die Herrschaften kassieren das Geld und lassen es sich gut gehen«, sagte ihr Vater.
    Ausgerechnet der junge Hochreuther, dessen Familie ihr Vater so hasste, forderte sie auf und tanzte nun den ganzen Abend nur mit ihr. Selbst wenn er hässlich und verwachsen gewesen wäre, hätte sie sich darüber gefreut. Aber Bruno Hochreuther war nicht hässlich und verwachsen, er war groß und blond und schön.
    Am Tag nach dem Maitanz kam er auf den Hof, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, dass er sie besuchte. Ihr Vater war auf dem Feld, die Mutter und Edda waren in der Küche, die jüngeren Kinder in der Schule, und Maria jätete Unkraut im Gemüsegarten. Sie hörte die kleine Pforte des Gartenzauns quietschen, und ehe sie sich umgedreht hatte, stand er hinter ihr.
    »Um Gottes willen«, sagte sie erschrocken. »Wenn mein Vater dich sieht!«
    Er legte seinen Finger auf ihren Mund und zog sie an die Rückwand des Schuppens und küsste sie. Am Anfang berührten sich nur ihre Lippen, dann drang seine Zunge zwischen ihre Zähne und war in ihrem Mund. Es war ein Gefühl, als ob sie sich von innen heraus auflöste. Ihre Lippen, ihre Arme, ihre Brüste und Beine, ihr ganzer Körper öffnete sich, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet.
    Er knöpfte

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