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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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Trommelwirbel die Bühne betrat, der größte Zauberer der Welt. »Ein unglaublichärr Magiärr!«
    Marias Herz schlug schneller, sie beugte sich nach vorn, um noch besser sehen zu können. Diese Gehilfin des Magiers, daswar die Frau, mit der sie gerade gesprochen hatte und die ihr am Vortag erschienen war. Madame Argent nannte sie sich also. Sie trug immer noch den bestickten Rock und die vielen Ketten über der Bluse, aber hier in der Manege wirkten die Kleider nur halb so bunt. Dafür erschien ihr Gesicht noch blasser als zuvor, denn die Lippen waren dunkelrot geschminkt, als bluteten sie. Der Zauberer begrüßte das Publikum, die Gehilfin verbeugte sich dabei in alle Richtungen, wobei der Schmuck auf ihrer Brust klirrte. Dann begann die Zauberei, Kaninchen erschienen im Zylinder und verschwanden wieder, Blumensträuße schoben sich aus Meister Nicolas Jackenärmel, Karten wurden verzaubert. Madame Argent knickste und lächelte und warf Kusshändchen, und zum Dank wurde sie zum Schluss in einen Kasten gesperrt und in der Mitte durchgesägt.
    »Sänsationäll!«, brüllte der Zirkusdirektor, als sich Zauberer und Gehilfin hinterher verbeugten. »Und wänn Sie wollän, dann wirrrft Madame Arrrgent nach därrr Vorrrställung auch einän Blick in Ihrrrä Zukunft.« Wer Mut habe, sein eigenes Schicksal kennenzulernen, der solle sich direkt zu ihr begeben, erstes Zelt links neben dem Ausgang, meinte er noch, bevor fünf Liliputaner auf Einrädern in die Manege rasten und ihn fast umfuhren.
    Den Rest der Schau erlebte Maria wie durch dicke Nebelschwaden hindurch. Sollte sie Madame Argent aufsuchen, oder sollte sie die ganze Sache einfach vergessen? Ich habe doch nichts zu verlieren, dachte sie. Ich lasse mir von ihr die Zukunft prophezeien. Vielleicht ist sie mir ja deshalb erschienen. Weil sie mir mein Schicksal voraussagen will. Bei dem Gedanken fröstelte sie plötzlich, und auf ihren Armen richteten sich alle Härchen auf.
    Sie war eine der Ersten, die das Zirkuszelt verließ und sich an dem kleinen runden Zelt neben dem Eingang anstellte.
MAD ME ARGENT
verkündeten die roten, weißen und blauen Buchstaben über dem Eingang, vor dem ein bunter Perlenvorhang hing, denn ein weißes A war abgefallen. Daneben saß ein Zwerg auf einem Schemel und strickte an einem Schal.»Madame kommt gleich«, sagte er, ohne Maria dabei anzusehen. »Zwanzig Pfennige, wenn ich bitten darf.«
    Sie reichte ihm ein paar Münzen und blinzelte dabei durch die Zwischenräume der Perlenschnüre in die Dunkelheit des Zeltinneren. Irgendwo da drinnen meinte sie ein bläuliches Leuchten zu sehen, aber vielleicht täuschte sie sich auch.
    Hinter ihr stellten sich weitere Zirkusbesucher an, man lachte und riss Witze über die Enthüllungen, die man sich von der Wahrsagerin erwartete. Maria trat von einem Fuß auf den anderen. »Madame kommt gleich«, sagte der Zwerg wieder.
    Dann drehte sie sich um. Vielleicht aus einem Gefühl heraus, dass sie jemand ansah, vielleicht geschah es auch einfach nur so, ohne Grund. Sie begegnete Brunos Blick, der sich ebenfalls angestellt hatte. Neben ihm stand ein zierliches Mädchen, um dessen Schultern er seinen Arm gelegt hatte, als wolle er sie am Davonlaufen hindern. Sie war sehr blond und sehr hübsch, erkannte Maria, obwohl sie sie nur für den Bruchteil eines Moments ansah. Dann wanderten ihre Augen wieder zu Bruno, und zum ersten Mal seit dem letzten Sommer sah er nicht weg. Er zog das Mädchen nur ein bisschen enger an sich und hielt ihrem Blick stand – mit einem sehr verächtlichen, kalten Ausdruck im Gesicht. Bevor sie wusste, was sie tat, trat sie aus der Schlange vor dem Zelt und lief davon.
    »Fräulein«, hörte sie den Zwerg noch rufen, den Rest seines Satzes verstand sie nicht mehr, weil sie schon zu weit weg war. Mein Geld, dachte sie, als sie bereits unten an der Bühler war. Ich habe doch schon den Eintritt für die Wahrsagerin bezahlt. Aber das war nun auch egal.
     
    Erscheinungen, Prophezeiungen, Hokuspokus. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie verrückt, dachte Maria. Sie beschloss, die ganze Angelegenheit zu vergessen. Nicht nur die Wahrsagerin im Zirkus. Auch Bruno und seine neue Geliebte. Nichts von alldem war es wert, dass sie sich darüber den Kopf zerbrach.
    Sie brauchte ihre Kraft für andere Dinge – um Kartoffeln zu klauben und Kohl zu hacken und die Schweine zu füttern. AlsEdda sie am Dienstag fragte, ob sie noch einmal mit zum Zirkus käme, verdrehte Maria verächtlich die Augen.

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