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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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lauten Trommelwirbel, bei dem ein Schlag in den anderen überging. Sie hatte noch niemals mit irgendjemand darüber gesprochen, dass ihr Vater sie schlug, nicht einmal mit ihren Geschwistern, nicht einmal mit ihrer Mutter. Vor allem nicht mit ihrer Mutter. Hinterher, wenn es wieder einmal passiert war, kam sie an Marias Bett, sie brachte eine Schüssel mit kaltem Wasser und Lappen, die sie eintauchteund auf die schmerzenden Stellen legte, aber dabei redete sie kein Wort, und auch Maria sagte nie etwas.
Diesmal hat es dich erwischt, das nächste Mal trifft es wieder mich,
las sie in dem verschlossenen Gesicht ihrer Mutter.
    Jetzt aber hatte Madame Argent das Geheimnis erkannt. Das war der Beweis dafür, dass sie wirklich übernatürliche Fähigkeiten hatte, dass sie tatsächlich in Maria hineinschauen konnte.
    »Antworte mir!«, sagte Madame Argent, ihr Ton hatte plötzlich etwas Drohendes.
    »Mein Vater schlägt mich«, sagte Maria. Sie wollte es jedenfalls sagen, es kam jedoch nicht mehr als ein leises Krächzen aus ihrem Mund.
    Die Wahrsagerin verstand sie auch so. Sie nickte und drückte dabei Marias Finger sanft nach unten gegen ihre Handfläche, so als hätte sie ihr etwas gegeben, das Maria nicht sehen sollte.
    »Das ist ein guter Grund, aufzubrechen und wegzugehen«, sagte sie ruhig.
    Und die Geschwister? dachte Maria. Wenn ich gehe, bekommen Ottilie und Edda meine Tracht Prügel. Und später Anton und Sepp. Und Mutter …
    »Du kannst ihnen nicht helfen«, sagte Madame Argent in ihre Gedanken hinein.
    Sie weiß alles, was es über mich zu wissen gibt. Sie weiß mehr über mich als ich selbst, dachte Maria, und der Gedanke machte sie richtiggehend schwindlig. Sie schloss die Augen und fühlte, dass sie plötzlich sehr ruhig war, aber auch sehr müde.
    »Ruh dich aus!«, sagte Madame Argent, und als Maria die Augen wieder öffnete, sah sie, dass die Wahrsagerin auf den Strohsack in der Ecke wies.
    Zu ihrer eigenen Überraschung stand Maria sofort auf und ging dorthin. Der schwarze Kater erhob sich widerwillig und stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz aus dem Zelt, während Maria die Decke zur Seite schob und sich auf die dünne Matratze legte. Das Stroh roch feucht und modrig, es erinnerte sie an die Nächte mit Bruno. Von draußen hörte sie das Geschepperder Eisenstangen und die Männer, die sich mit lauter Stimme Befehle zuriefen. Wie kann ich hier schlafen, wenn sie doch die Zelte abbrechen? dachte sie. Wie kann ich hier schlafen, in Gegenwart einer wildfremden Frau? Wenn meine Mutter mich jetzt sehen könnte, dachte sie, aber dann hörte sie auf zu denken.
     
    Maria wachte wieder auf, weil sie jemand an der Schulter berührte. Sie fuhr hoch und riss sich dabei die Wolldecke über die Brust, die auf ihr lag, obwohl sie sich vorhin nicht damit zugedeckt hatte.«Nicht erschrecken«, sagte der Mann mit dem kleinen Schnurrbart, den sie schon einmal irgendwo gesehen hatte, sie konnte sich nur nicht erinnern, wo das gewesen war. Er rollte das R genau wie der Zirkusdirektor.«Wir bauen das Zelt ab.«
    «Ich …« Marias Kopf war voll dicker weißer Watte, ihre Gedanken hingen irgendwo dazwischen fest.«Ich wollte gerade gehen.«
    Der Mann mit dem Schnurrbart lachte und zeigte dabei seine großen weißen Schneidezähne. Maria wusste plötzlich, dass sie ihn aus der Manege kannte, es war der Zauberer, mit dem Madame Argent aufgetreten war. Bei der Vorstellung war er ihr jedoch viel größer erschienen. Vielleicht war es der schwarze weite Mantel gewesen, den er dabei getragen hatte, und der hohe Zylinderhut. Jetzt trug er ein schmutziges Hemd zu blauen Hosen, sein Bauch spannte sich über dem Gürtel.
    «Bleib sitzen«, sagte er und drückte ihre Schultern sanft nach unten, als sie sich erheben wollte.«Madame kommt gleich.«
    Benommen sah Maria zu, wie er und zwei andere Burschen die herumliegenden Kleider, Zettel, Gegenstände in den Kisten und Koffern verstauten und nach draußen trugen. Dann begannen sie das Zelt abzubauen, das schwere Tuch fiel plötzlich zusammen, aber bevor es Maria unter sich begrub, hatten es die Männer schon angehoben und weggetragen. Sie saß jetzt im Freien, über ihr ein blauer Sommerhimmel, um sie herum Menschen, packend und schleppend wie Ameisen in einem Bau,unter ihr der verblichene, schmutzige Teppich und der Strohsack. Sie stand auf. Jemand zog den Strohsack weg und warf ihn oben auf einen Karren. Der Teppich wurde zusammengerollt und landete daneben.
    «Wir brechen auf«, sagte

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