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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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zu den Pendlerzügen. Eine Frau in gelber Seglerjacke stand am Abgang der Rolltreppen zur Ladenpassage, verteilte Zeitungen an die Vorbeihastenden. Auch ihn nötigte sie, ein Gratisblatt in die Hand zu nehmen. So hatte er vor Jahren Flugschriften verteilt vor Fabriktoren. Ein Songtext auf einem jener Blätter fiel ihm ein.
    Ich gehe, gehe ,
    ich suche die Freiheit ,
    Ich hoffe, den Weg zu finden ,
    um weiterzugehen .
    Er warf einen Blick auf das Frontbild der Zeitung. Taucher bergen ein Fahrrad aus der Limmat. Er steckte das Blatt ins Haifischmaul eines Abfalleimers aus Chromstahl. Genau wie es die Fabrikarbeiter mit den politischen Traktaten gemacht hatten, über deren Texten sie in der Gruppe tagelang gebrütet und gestritten hatten.
    Der Strom von Menschen aus der Bahnhofstrasse trieb ihn nach links, an McDonald’s, Starbucks und einem Apple Store vorbei zur Bahnhofbrücke über die Limmat. Das Restaurant Du Nord hiess jetzt «Au Gratin». Zürich hatte sich neue Fassaden und neue Sprachen zugelegt, und doch kam es ihm vor, als habe er nicht Jahrzehnte im Ausland gelebt, als sei er nur heimgekehrt nach einer langen Reise. Auch in Iowa City gab es McDonald’s, Starbucks und einen Apple Store. Vielleicht war seine Reise nur ein Traum gewesen, Iowa City, die University, Marilyn, die Tochter und sein Enkel Jonathan. Seinen Koffer mit dem Notebook und den Unterlagen hatte er sich bloss eingebildet. Ein Traum, ein anderes Leben.
    War es möglich, dass man zwei Leben lebte, die nichts miteinander zu tun hatten? Etwas in seinem Kopf schien wie ausgelöscht, zwischen den zwei Leben klaffte eine Lücke. Er spürte einen Stich hinter dem rechten Auge, tief in seinem Gehirn. Seit ein paar Wochen kam er gelegentlich wieder, kurz und heftig, wie eine Injektion in sein Unterbewusstsein.
    Ich gehe, ich gehe .
    Bei der Limmatbrücke vor dem flachen Gebäude eines Supermarktes fiel ihm wieder ein: der Schirm.
    Coop – für Sie offen Montag bis Samstag 7 bis 22 Uhr.
    Er kaufte sich einen Knirps, bezahlte mit Kreditkarte. Unter dem Vordach des Coop versuchte er den Schirm aufzuspannen, doch der Mechanismus klemmte. Ein Auto fuhr vorbei, aus einer Pfütze spritzte Wasser auf. Tropfen glitzerten im Licht der Schaufenster. Für Sekunden tauchte ein Bild vor seinem inneren Auge auf. Schimmernde Wasserfontänen im Sonnenlicht. Eine Reihe von Polizisten sperrt die Brücke, sie tragen blaue Hemden mit kurzen Ärmeln, Krawatten und Uniformhüte. Wasser schiesst aus Feuerwehrrohren gegen eine Menge junger Menschen, die vom Central und vom Bahnhof her gegen das Gebäude stürmen. Junge Männer mit langen Haaren und blossen Oberkörpern stürzen auf den Polizeikordon los, reissen Abschrankungen nieder, zerren die Feuerwehrschläuche weg, lassen sich nass spritzen. Andere schleudern Pflastersteine und Bierflaschen gegen die Beamten. Vom Balkon des Eckhauses feuert der Kommandant der Polizeitruppe über Megafon seine Leute an: Packt den Langhaarigen da vorn! Nehmt ihn rein! Vier Polizisten greifen zu, reissen einen Jungen zu Boden. Er wehrt sich, schreit und schlägt um sich. An Armen und Beinen schleifen sie ihn weg.
    Der 29. Juni 1968 war ein heisser Sommertag, ein Samstag. Robert war per Zufall vorbeigekommen auf dem Weg vom Seebad Tiefenbrunnen nach Hause. «Globuskrawall» nannte man später die Strassenschlacht um den flachen Bau, der dem Warenhaus Globus als Provisorium gedient hatte und leer stand. Die rebellische Jugend der Stadt wollte das Gebäude besetzen und zum autonomen Jugendzentrum machen. Sie fühlte sich von den Behörden hintergangen, die schon längst ein Jugendhaus versprochen, aber nie gebaut hatten.
    Robert war plötzlich in der vordersten Reihe gestanden, pudelnass gespritzt. Später erinnerte er sich nicht mehr, wie er dahin gekommen war. Die Bullen packen ihn von der Seite, von hinten. Er schlägt um sich, er ist stark, spielt Handball in der Universitätsmannschaft. Einer der Polizisten geht zu Boden, blutet aus der Nase. Seine Kollegen fluchen, lassen von ihm ab. Er war mit ein paar Schrammen davongekommen, nicht wie andere, die ins Gebäude gezerrt, verprügelt und später wegen Landfriedensbruch verurteilt wurden. Jener Tag hatte sein Leben verändert.
    Der Schirm sprang auf, er trat in den Regen hinaus. Die Hülle steckte er in die Jackentasche. Im Limmatschiff, das sich flussaufwärts gegen den See pflügte, sassen wenige Touristen unter dem Glasverdeck. Die herausgeputzten Fassaden am Limmatquai und die Türme

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