Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
Vom Netzwerk:
Finanzskandal, eine Umweltkatastrophe, das politische Kasperlitheater in Bern. Gelegentlich schnitt er einen Text aus und schob ihn in eines der Mäppchen, in denen er seit Jahren alle Übel der Welt sammelte, nach Themen geordnet. Er hatte Leserbriefe geschrieben, auch für bürgerliche Blätter. Lange und komplizierte Texte, die er auf seiner Schreibmaschine mit zwei Fingern tippte. Nur selten wurde einer gedruckt, meist gekürzt und oft verzerrt. Er hatte aufgehört, als eine Redaktion schrieb, sie nähmen Zuschriften nur noch in elektronischer Form entgegen. Aus lauter Gewohnheit sammelte er noch immer Zeitungsausschnitte.
    Die Bananenschachtel mit den Ordnern und den Mäppchen bewahrte er unter einem Gestell in einem Winkel des Gartenhauses auf. Alice hatte das Zeug nicht geduldet in der Wohnung, das Geklapper der Schreibmaschine hatte sie gestört.
    Pippo las: «Fall Kunz: Velo aus Limmat geborgen!»
    Taucher hätten das Fahrrad des verunglückten Politikers beim Schiffssteg am Limmatquai gefunden. Vermutlich sei er unter Alkoholeinfluss von der Strasse abgekommen und in den Fluss gestürzt.
    «Schwachsinn», murmelte Pippo. Er kannte den Ort, wo das Limmatschiff anlegte. Zwei Treppen führten zu einer Plattform am Wasser, dort fuhr einer im grössten Suff nicht hinunter. Es war stadtbekannt, dass Martin Kunz Alkoholiker war. Aber so etwas konnte nur ein Depp von Journalist schreiben, der die Stadt bloss durch den Bildschirm betrachtete. Früher hätte er gleich seine Adler vom Gestell geholt, ein Blatt eingespannt und eine gepfefferte Entgegnung geschrieben. Wie man belogen, betrogen, manipuliert wurde durch die von Managern im Dienst gieriger Aktionäre gesteuerten Medien. Ach, was solls.
    Pippos Lippen zitterten. Noch ein Bier. Dann holte er die Schneckenschere, schnitt den Bericht aus, schob ihn in ein Mäppchen mit der Überschrift «Alte Genossen».

    Da war ein Brief. Hermann drückte mit einer Hand die Klappe des Briefkastens hoch, versuchte mit zwei Fingern das dicke Kuvert herauszuklauben. «Shit!» Der Postbote hatte den Brief in den Schlitz gezwängt, nun steckte er fest. Den Schlüssel hatte er verlegt. Hermann atmete schwer, dann schlug er mit der Faust aufs Blech. Die andern Briefkästen trugen keine Namensschilder, einer war aufgerissen. Auf der Treppe lagen zerfledderte Gratiszeitungen herum.
    Er trat ins Freie, lehnte gegen die Mauer, drehte sich eine Zigarette. Die Hand mit dem Feuerzeug zitterte. Er hielt die Flamme in den Regen, sah zu, wie die Tropfen verdampften. Autoreifen zischten durch Pfützen, Masken glotzten hinter rudernden Scheibenwischern auf die Strasse. Der Brief, dachte er. Er trug das Signet der Filmstiftung. Hermann wusste, was er enthielt. Gesuch für einen Werkbeitrag, Dokumentarfilmprojekt «Tanguerilla». Hermann Amberg, Filmautor. Sein Dossier, in das er viel Zeit investiert hatte. Viel Herzblut. Mit Dank zurück. Wie schon ein halbes Dutzend Dossiers zuvor. Einige Monate Recherche in Zürichs Tangoszene, achtlos in den Blechkasten gestopft. Der Briefträger hätte ihn auch gleich zu den Schrottzeitungen schmeissen können. Spielberg müsste man heissen, nicht Amberg.
    Hermann warf die halb gerauchte Zigarette auf den Gehsteig, schritt den Häusern entlang zur Langstrasse. Zwei Schwarze kamen ihm entgegen, machten keine Anstalten auszuweichen. Einer sah ihn an: «Gras?»
    «Danke, bin bedient.» Hermann trat auf die Strasse, ein Taxi streifte ihn beinahe. «Arschloch», schrie er ihm nach, streckte den Mittelfinger hoch. Der Fahrer hielt kurz an, ein Typ mit kahlem Schädel, sah in den Rückspiegel, tippte mit zwei Fingern an die Schläfe, dann fuhr er weiter.
    Im «Aargauerhof» sass eine Rentnerin über eine Zeitung gebeugt, einen Kaffee im Glas vor sich. Wie vor fünfzig Jahren, dachte Hermann, als das Lokal noch eine Quartierknelle war und sein Vater Stammgast. An der Bar fingerten zwei füllige Blondinen mit Ohrstöpseln auf ihren Smartphones herum. Ihre Schenkel wippten im Takt der Musik, die als rhythmisches Zischen zu hören war. Hermann setzte sich an einen der runden Tische beim Fenster.
    «Was darfs sein?», fragte die Kellnerin.
    «Tee citron bitte.» Hermann blätterte im «Tages-Anzeiger», der auf dem Tisch lag, ohne zu lesen. Sein Projekt war abgelehnt, das war so sicher wie das Urbi et Orbi des Papstes an Ostern. Wir machen einen Film, und du bist der Star, hatte er Carmen vorgeschwärmt. Ich bin kein Schwätzer, verstehst du. In Berlin habe ich

Weitere Kostenlose Bücher