Zorn: Thriller (German Edition)
erklärte Hjelm nach einer Weile, »dass W und Vera die Informationen an die Presse geschickt haben. Und der Reporter wusste lediglich, dass wir ›eine Art europäische Polizei‹ sind. Ich glaube also, dass wir nicht aufgeflogen sind.«
»Aber unser Freund Huntington kennt uns«, merkte Navarro an. »Er hat schließlich deine Berichte an den Direktor abgefangen, Paul. Das Geheimste überhaupt.«
»Es dürfte kaum in Huntingtons Interesse liegen, uns auffliegen zu lassen«, wandte Hjelm ein. »Er wird sein Wissen wohl eher für sich behalten und zu einem geeigneten Zeitpunkt davon Gebrauch machen. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht das letzte Mal war, dass wir mit Asterion zu tun hatten.«
Erneut machte Hjelm eine Pause, in der er seinen Blick über die Gruppe schweifen ließ. Alle wirkten über die Maßen erschöpft, jeder Einzelne von ihnen. Schließlich holte er tief Luft und sagte: »Wir haben es geschafft, zwei bislang unbekannte Serienmörder aufzuspüren. Wir haben Viktor Larsson festgenommen, und dass W uns aus dem Netz entschlüpft ist, ist natürlich höchst bedauerlich, aber seine Mordserie ist beendet. Denn er hat sein Ziel erreicht. Aber noch wichtiger ist für ihn wohl die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, Massicotte gehen zu lassen. Ich habe die Hoffnung in seinem Blick gesehen, als Vera ihn dazu brachte, die Spritze auf den Tisch zu legen. Die Ermittlungen laufen natürlich weiter, und wir werden selbstverständlich alles daransetzen, ihn festzunehmen, aber er stellt höchstwahrscheinlich keine Gefahr mehr für seine Umgebung dar.«
Dem war nicht mehr viel hinzuzufügen. Außerdem stand die Erschöpfung allen in der Kathedrale ins Gesicht geschrieben. Höchste Zeit, Überstunden abzufeiern.
»Ich habe euch eigentlich nur noch eine Sache mitzuteilen«, sagte Paul Hjelm schließlich. »Ich bin wahnsinnig stolz auf euch alle.«
Polynesische Coda
Polynesien, 8. Juni
Der alte Fixer sammelte Treibholz. Ein Fremder, der in diesemAugenblick vor der Insel vor Anker gegangen wäre, hätte vermutlich gedacht: Da stolpert ein alter Fixer herum und sammelt Treibholz. Und vermutlich hätte derjenige hinzugefügt: Ach, wie tragisch.
Aber für den alten Fixer war es nicht im Mindesten tragisch. Im Gegenteil, es war das perfekte Leben. Momentan war Winter, aber hier war es im Winter allenfalls ein paar Grad kälter als im Sommer. Aber es war immer noch herrlich warm.
Außerdem war er noch gar nicht so alt. Es war erstaunlich, wie viel älter ein ziemlich ungepflegter Bart einen aussehen ließ. Und das passte dem Fixer ausgezeichnet. Hier konnte er ganz er selbst sein.
Manchmal dachte der Fixer an seinen Vater. Der alte Scheißkerl hatte zumindest seinen Rücken erfolgreich behandelt, sodass er nicht mehr wie ein Kamel aussah. Er fragte sich, ob er noch lebte.
Inzwischen war er reichlich bepackt. Noch ein einziges Stück Treibholz, und alles würde ihm aus den Händen rutschen. Er schlurfte die zwanzig Meter vom Strand hinauf zu seinem Bungalow und schleppte den Haufen zur Feuerstelle. Für heute Abend würde es ausreichen. Er würde wie immer vor dem Feuer sitzen, sich einen feinen Joint genehmigen und die Schönheit des Universums in sich aufsaugen, bis ihm die Augen zufielen. Wie jeden Abend.
Er begutachtete noch einmal kurz den Stapel Treibholz. Ja, es reichte ganz sicher.
Dann ging er wieder über den Sand hinunter zum Meer. Seine wettergegerbten Füße wurden vom kristallklaren Meerwasser umspült, während er langsam in Richtung des neuen Bungalows schlenderte. Seiner eigenen Zeitauffassung zufolge hatte er eines Tages einfach dagestanden. Die beiden Gestalten, die ihn errichtet hatten, kamen ihm vage bekannt vor, aber es hatte einige Tage gedauert, bis er den Mut fasste, sich ihnen so weit zu nähern, dass er sie genauer in Augenschein nehmen konnte.
Sie hatten ihren Bungalow neben dem einer etwas älteren Frau errichtet, die ihm schon die ganze Zeit irgendwie bekannt vorgekommen war. Aber erst jetzt, als er das neue Paar zusammen mit der etwas älteren Frau sah, stellte er fest, dass er sie wirklich kannte. Alle drei.
Es war wie eine Rückkehr in die Kindheit. Natürlich war das sein Jugendfreund, und natürlich war das seine gut aussehende Schwester, und natürlich war die ältere Frau die andere Schwester. Aber wie alt sie geworden waren.
Ihre Namen fielen ihm allerdings nicht mehr ein. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie sein alter Vater sie genannt hatte. An ihre
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