Zorn - Tod und Regen
öfter ertappte. Das war nicht schlimm, bis auf die Tatsache, dass er diese Zeit mittlerweile regelrecht zurücksehnte. Damals hatte er wenigstens etwas zu tun gehabt. Ein Ziel, eine Aufgabe. Und jetzt?
Mein Gott, dachte Zorn und wischte einen winzigen Staubkrümel vom Tisch, kann denn nicht irgendwas passieren? Irgendwas? Es muss ja nicht gleich ein Mord sein. Vielleicht eine simple Entführung. Oder eine Erpressung? Egal, jedenfalls etwas, das nicht mit Kleingartensparten oder Großbaustellen zu tun hat. Wenn das so weitergeht, stelle ich mir noch eine Topfpflanze ins Büro, dann hab ich wenigstens was zum Gießen. Das Wort
Topfpflanze
spie er in Gedanken aus wie ein altes Kaugummi.
Urplötzlich wurde er wütend auf Schröder. Der hatte es einfach, saß ein paar Meter weiter in seinem Büro, wühlte sich durch nichtssagende Akten und war zufrieden.
Er könnte ruhig mal vorbeikommen, das ist er mir irgendwie schuldig. Könnte fragen, wie’s mir so geht, was ich in den letzten Monaten gemacht habe, er muss doch merken, dass er hier gefehlt hat und überhaupt …
Jetzt verhedderte sich Zorn in seinen eigenen Gedanken.
Wenn er nicht zu mir kommt, dann geh ich halt zu ihm, dachte er trotzig. Stand auf, ging zur Tür und warf einen letzten Blick auf den Wasserfleck über dem Fenster.
Das ist keine Qualle, überlegte er. Und auch kein Hintern.
Es ist ein Skischuh.
*
»Darf ich ehrlich sein?«, fragte Frieda Borck.
Schröder nickte.
»Sie sehen beschissen aus. Wie viel haben Sie abgenommen? Sechs Kilo?«
»Sieben, Frau Staatsanwältin.« Schröder drehte sich ein wenig zur Seite, so dass er im Profil zu sehen war. »Ich denke nicht, dass mir das geschadet hat, oder?«
»Wie man’s nimmt. Ich mag Ihr Bäuchlein, Herr Hauptkommissar.«
»Gracias, Frau Staatsanwältin.«
Frieda Borck trug eine helle Bluse und einen kurzen schwarzen Rock. Zorn, der in diesem Moment ein paar Meter weiter sein Büro verließ, hätte ständig auf ihre langen Beine gestarrt. Schröder hingegen stand hinter seinem Schreibtisch und sah ihr lächelnd in die Augen.
»Sie sind verdammt blass, Herr Schröder. Meine Mutter würde sagen, Sie sehen aus wie der Tod auf Latschen.«
»Richten Sie meine besten Grüße aus und sagen Sie ihr, dass ich wenig Gelegenheit hatte, an die Sonne zu kommen.«
»Ich frage mich nur, ob Sie schon wieder arbeiten sollten. Sie gehören ins Bett, nicht ins Büro«, meinte Frieda Borck in ernstem, fast mütterlichem Ton. Was ein wenig paradox war, schließlich war sie fast fünfzehn Jahre jünger als Schröder.
»Ach, im Bett war ich in den letzten Wochen lange genug«, erwiderte Schröder und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ich bin froh, endlich wieder etwas tun zu können.«
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?«
»Ich bin nicht traumatisiert, falls Sie das meinen. Und etwas Abwechslung tut mir gut. Auch wenn es vorerst nur ein verschwundener Betonmischer ist.«
»Der Mischer ist heute früh wieder aufgetaucht.«
»Ach!«
»Der Bauleiter hatte ihn übers Wochenende mitgenommen, wollte seine Garage verputzen. Das Schlimmste, was er zu erwarten hat, ist eine Abmahnung. Ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht.«
»Es ist niederschmetternd«, lächelte Schröder.
Die Staatsanwältin lächelte ebenfalls. »Sie werden’s überleben. Ansonsten liegt nicht viel an.«
»Die Hitze macht allen zu schaffen. Offensichtlich auch den Verbrechern.« Schröder erhob sich schwerfällig und trat ans Fenster. »Zorn erzählte etwas von einer Einbruchserie in einer Kleingartensparte?«
»Das stimmt.« Frieda Borck nickte. »Wahrscheinlich sind es Kids, die sich einfach nur langweilen. Sie brechen nachts in die Lauben ein, meist am Wochenende. Die Gartensparte liegt direkt am Nordbad, sie klauen Schnaps, kiffen und gehen danach baden.«
»Klingt spannend.«
»Ich dachte, Sie wären froh, wenn Sie etwas zu tun bekommen?«
»Das bin ich«, sagte Schröder ernst. »Ich werde mich heute Nacht sofort auf die Lauer legen.«
Frieda Borck warf den Kopf in den Nacken und lachte.
*
Einen Moment stand Zorn unschlüssig vor Schröders Büro. Hob die Hand, um anzuklopfen, ließ sie aber wieder sinken. Nein, klopfen würde er nicht, schließlich war er Schröders Vorgesetzter. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, bisher war es immer so gewesen, dass Schröder zu
ihm
gekommen war, nicht umgekehrt.
Dann hörte er das Lachen aus dem Zimmer und zögerte erneut.
Er scheint sich ja prächtig zu
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