Zorn - Tod und Regen
dicke Rauchsäule stieg auf. Rechts, auf der Hochstraße, rasten seit Stunden die Feuerwehren dahin, Blaulicht blitzte in der Morgendämmerung, er hörte das gedämpfte Geheul der Sirenen. Von hier oben klang es, als würde ein wütender Hornissenschwarm angreifen.
Er hatte eine Platte aufgelegt, Johnny Cash sang eines seiner letzten Lieder.
I hurt my self today to see if I still feel.
Zorn hatte noch immer Kopfschmerzen, im Mund spürte er einen salzigen Geschmack. Irgendwann in der letzten Nacht, wann genau, wusste er nicht, hatte er sich die Unterlippe blutig gebissen. In seinem Mundwinkel hing eine unangezündete Zigarette. Das Feuerzeug flammte auf, er hielt kurz inne, nahm die Zigarette aus dem Mund und betrachtete sie nachdenklich. Wie viele Stunden hatte er jetzt nicht geraucht? Er wusste es nicht, bestimmt eine Ewigkeit.
Nun ja, vielleicht ist das jetzt der richtige Zeitpunkt zum Aufhören, überlegte er und tat die Zigarette vorsichtig aufs Fensterbrett.
I focus on the pain, the only thing that’s real.
Johnny Cash sang mit der Stimme eines alten, gebrochenen Mannes. Zorn dachte an das Musikvideo, es war kurz nach dem Tod seiner Frau aufgenommen worden. Cash hatte unendlich müde in die Kamera geblickt. Wie ein Mann, der weiß, dass er bald sterben wird. Nein, korrigierte sich Zorn in Gedanken. Wie einer, der genug hat. Einer, der nicht mehr leben will. So, genau so, hatte ihn Henning Mahler bei ihrer letzten Begegnung angesehen.
Der Refrain setzte ein.
What have I become, my sweetest friend?
Dann kam dieser Klavierton, immer auf dem zweiten und dem vierten Viertel, er schien überhaupt nicht zu passen, schwebte über den Harmonien wie ein gläserner Fremdkörper, wurde lauter und lauter.
Everyone I know goes away in the end.
Das hätte dir gefallen, Henning, dachte Zorn. Es ist so schön, dass es weh tut.
Die Zigarette rollte vom Fensterbrett und landete direkt vor seinen Füßen. Er sah sie einen Moment lang an, dann zuckte er die Achseln, nahm das Feuerzeug und hob sie auf. Der erste Zug ließ ihn ein wenig schwindeln, aber er fühlte sich besser.
Noch eine halbe Stunde bis Dienstbeginn. Er dachte an sein muffiges Büro und die Anzeige wegen Fahrerflucht. Nein, es gab wirklich nicht viel Schönes, das ihn erwartete.
Außer Malina.
Draußen kreisten Hubschrauber über der Marktkirche. Die Flut hatte die freiliegenden Fundamente unterspült, einer der Türme war zur Hälfte eingestürzt. Der Stumpf ragte in den trüben Himmel wie ein fauliger Zahn.
Zorn trank den letzten Schluck Kaffee, drückte die Zigarette aus und griff seine Jacke.
»Dieses Wetter«, murmelte er und rieb sich die entzündeten Augen, »macht mich wahnsinnig. Was gäbe ich nur für ein klitzekleines bisschen Sonne.«
Kaum hatte er’s ausgesprochen, brachen die Wolken auf, ein einsamer Sonnenstrahl goss sein Licht über die rauchende Stadt und hüllte die Trümmer für einen kurzen Moment in einen unwirklichen, glänzenden Schein.
Wie in einem schlechten Film, dachte Claudius Zorn angewidert und fuhr zurück zu seinen Akten.
Dank
Es gibt ein paar wichtige Menschen, die dieses Buch gelesen haben, als es noch ein schnödes Word-Dokument (95583 Wörter, verteilt auf 4114 Absätze und 302 DIN -A4-Seiten) war. Ihnen soll hier gedankt werden, für ihre Zeit, ihre Liebe und ihre Anmerkungen:
Markus Keitel (»Es gefällt mir – aber muss zum Schluss wirklich
alles
explodieren? Wenigstens die Marktkirche hättest du stehen lassen können.«), Henning Schaarschmidt (»Frisch gebügeltes Frettchen? Ich weiß nicht, das klingt verdammt nach Olaf Schubert!«), Claudia Kern (»Das hast du nur geschrieben, weil ich das immer zu dir gesagt hab!«), Frieda Kreße (»Arsch? So was würde Schröder niemals sagen! Gesäß vielleicht, oder Hintern – aber doch nicht
Arsch
!«), Ella Kreße (»Kaufst du mir ein Pferd, wenn’s ein Bestseller wird?«), Martha Vorbrodt (»Zorn hat doch die Sushi-Packung in den Kühlschrank getan – wieso steht die auf einmal auf dem Küchentisch?«), Haubi (»Ich denke, für dieses Kapitel könnte man durchaus einen
anspruchsvolleren
Schlusssatz finden.«), Katina (»Hier fehlt ein Komma!«), Frau Hammelmann (»Seite 202!«), Tom Mangel (»Okay, es ist spannend. Aber warum schreibst du andauernd, dass es
regnet
?«)
Dank an Frank Bischof für seine Auskünfte über den Polizeialltag in Sachsen-Anhalt.
Nicht zu vergessen Volker Jarck und Alexandra Kosian-Krishnabhakdi vom Fischer Verlag, die
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