Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
überlegte er verzweifelt. Solange ich rede, schlägt er nicht zu. Er darf nicht merken, dass ich Angst habe. Ich muss ihn ablenken, provozieren.
Er ließ die Hand sinken und sah Max in die Augen.
»Na los, schlag zu«, sagte er ruhig. »Du hast genügend Menschen auf dem Gewissen, auf einen mehr kommt’s nicht an. Es ist doch so, oder? Du hast alle deine Freunde umgebracht, und jetzt bist du allein und weißt nicht weiter.«
Max blinzelte verwirrt.
»Du brauchst einen Arzt«, fuhr Zorn leise fort. »Du bist schizophren, oder irgendwas in der Art. Ich hab keine Ahnung von diesem Psychozeugs, aber eins weiß ich genau: Du hast ein echtes Problem, Junge.«
Zorn ließ Max nicht aus den Augen. Sein Herz raste, als würde es jeden Moment aus dem Brustkorb springen.
Ich muss weiterreden, dachte er, einfach nur reden. Aber was?
»Jetzt bin ich seit über zwanzig Jahren Bulle, und ich bin noch nie so verarscht worden. Nicht nur ich, du hast die komplette Polizei an der Nase rumgeführt. Wir alle haben dir das Märchen vom armen, verfolgten Unschuldslamm abgekauft. Darauf kannst du dir was einbilden, Max.«
»Weil ihr bekloppt seid. Es war total einfach.« Max ließ die Zange ein Stück sinken. Es klapperte leise, als die Schenkel aneinander schlugen. »Ich musste nur die Rolle spielen, in der du mich sehen wolltest.«
»Und das hat ja auch geklappt. Du solltest Schauspieler werden.« Zorn nickte anerkennend. Während er sprach, zog er langsam das linke Bein an. »Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass du jemals wieder auf freien Fuß kommst. Vielleicht kannst du im Knast eine Theatergruppe gründen. Ich bin sicher, du hättest Erfolg. Und außerdem denke ich …«
Claudius Zorn trat mit aller Kraft zu.
Er traf Max direkt an der Kniescheibe.
*
Ein leises Klicken, das Vorhängeschloss fiel zu Boden. Der Mann von der Spurensicherung ließ den Bolzenschneider sinken und ging einen Schritt beiseite.
»Bitteschön, Herr Hauptkommissar.«
»Danke.« Schröder betrat den Keller, seine Hand tastete über die grob verputzte Wand und fand den Lichtschalter. Eine nackte Glühbirne flammte auf.
Das Erste, was ihm auffiel, waren die leeren Flaschen. Es mussten Hunderte sein, sie standen überall, säuberlich aufgereiht und nach allen denkbaren Sorten geordnet: Wein, Bier, Likör, Schnaps und Sekt.
Ein Regal an der linken Wand war ebenfalls mit Flaschen gefüllt, dazwischen türmten sich alte Zeitungen und verstaubte Bücher. An der Decke hing ein altes Fahrrad. Es roch nach vergorenem Alkohol und altem Öl.
Schröder wandte sich nach rechts. Alte Umzugskartons stapelten sich bis fast unter die Decke. TRANSPORTBOX , stand auf den Seitenflächen, TRAGKRAFT 50 KILO. Er schob ein paar beiseite und verschwand in einem schmalen Zwischenraum.
Zwei Minuten später kam er wieder zum Vorschein.
Er war blass geworden.
»Holen Sie die Kollegen, die sollen den Dreck da drin einpacken und ins Präsidium bringen«, sagte er zu dem Mann von der Spurensicherung.
»Welchen Dreck?«, fragte der Mann.
Schröder antwortete nicht. Langsam ging er den Flur entlang, schwerfällig wie ein alter Mann. Als er die Kellertreppe erreichte, blieb er stehen, setzte sich auf die unterste Stufe und vergrub das Gesicht in den Händen.
*
Max schrie gellend auf, sein Knie knackte, er stolperte durch die geöffnete Wohnungstür rückwärts in den Hausflur und landete dort auf dem Hosenboden. Die Zange entglitt seinen Händen, schlitterte über das Linoleum und blieb unter einem Feuerlöscher liegen. Zorn stützte sich mit der Hand ab und sprang auf, er schrie jetzt ebenfalls, der Schmerz raste durch seine Schulter, er verhedderte sich in seiner Jacke und fiel wieder hin. Draußen rappelte sich Max hoch und hinkte davon, erst langsam, dann immer schneller. Links von ihm lag der Fahrstuhl, er hieb auf den Knopf, es war der falsche, das Hauslicht flackerte auf. Er zögerte, sein Blick flackerte ebenfalls, dann lief er weiter und blieb vor der Tür zum Treppenhaus stehen. Dort drehte er sich um. Zorn lag noch immer in seiner Wohnung unter der Garderobe und hielt sich die schmerzende Schulter.
»Du hast mir weh getan!«, schluchzte Max und rieb mit der Hand über sein Knie.
Es klang wie das Quengeln eines eingeschnappten Viertklässlers. Max’ Kapuze war herabgerutscht, Zorn sah, dass er weinte. Wimperntusche lief über seine Wangen, er hatte sich noch immer nicht abgeschminkt.
Dein Lippenstift ist verwischt , schoss es Zorn durch den Kopf. Du
Weitere Kostenlose Bücher