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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Jetzt war es besser, er wusste, dass er sich genau in der Mitte befinden musste. Irgendwo links von ihm war das Brett, das ihm als Schreibtisch diente.
    Zehn. Elf.
    Gebeugt ging er um den Brunnen herum, seine Fingerspitzen tasteten über die Fliesen. Er wusste, dass sie türkisfarben waren, die meisten gesplittert, mit alter Farbe und Vogelkot beschmiert. Sie waren kalt und feucht, doch die Berührung hatte etwas Tröstliches.
    Zwölf. Dreizehn. Vierzehn.
    Jetzt hatte er den Brunnen umrundet, lief geradeaus weiter. Seine Schritte wurden größer, er reckte den Kopf vor, die Nasenflügel blähten sich, als könne Riechen ihm die Orientierung erleichtern. Er zählte jetzt laut mit, der Klang der eigenen Stimme verringerte die Furcht.
    Fünfzehn! Sechzehn! SIEBZEHN! ACHT..
    Czernyk blieb stehen, er hätte längst an der gegenüberliegenden Wand sein müssen. Zitternd tasteten seine Hände durch die Luft, fanden nirgendwo Halt. Ein kalter Luftzug wehte ihm entgegen.
    Ein Schritt nach links, dann nach rechts. Nichts.
    »Ich schaff das nicht.«
    Er öffnete die Augen.
    *
    Zorn ging mit großen Schritten durch die Eingangshalle. Schon von weitem erkannte er Bert, den Beamten mit dem länglichen Gesicht in seiner Pförtnerloge, er zögerte und blieb stehen. Seit seinem Zusammenbruch waren sie sich nicht mehr begegnet, Zorn war, ehrlich gesagt, auch nicht sonderlich scharf darauf. Er hatte keine Erinnerung an das, was er dem Pförtner erzählt hatte, nachdem er die Leiche in seinem Büro gefunden hatte. Aber er ahnte, dass sein Auftritt mehr als peinlich gewesen war. Ein unangenehmes Kribbeln machte sich in seiner Magengegend breit, einem ersten Impuls folgend, wollte er umkehren, doch die Gier nach der Zigarette war stärker. Zügig ging er in Richtung Ausgang, Bert, der Pförtner, sprang auf und klopfte gegen die Scheibe.
    »Ich wollte Sie gerade anrufen, Kollege.«
    Wie zur Bestätigung hielt er den Telefonhörer in die Höhe.
    Zorn sah sich um, in der Hoffnung, dass jemand anderes gemeint sein könne. Was natürlich nicht der Fall war. Nur eine ältere Dame in einem braunen Wintermantel stand neben dem Eingang und sah sich unschlüssig um.
    Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Zorn und näherte sich der Pförtnerloge.
    »Das ist aber lieb«, sagte er. »Sie wollen sicher wissen, wie’s mir geht. Leider habe ich keine Zeit zum Plaudern, aber Sie können beruhigt sein, ich fühle mich prima.« Zur Bestätigung zog er die Mundwinkel nach oben und hoffte, dass es wie ein unbefangenes Lächeln wirkte. »Sie können also weitermachen mit Ihrer«, er wedelte mit der Hand durch die Luft, »Arbeit. Was auch immer Sie den ganzen Tag machen.«
    Die alte Frau kam näher. Sie trug ein Kopftuch, das ihr bis tief in die Stirn reichte.
    »Ich suche meinen Hund«, wandte sie sich an Zorn. »Er ist entlaufen.«
    »Huch! Das ist ja furchtbar!«
    Bert, der Pförtner sah Zorn misstrauisch an. Wie eine Briefbombe, die jeden Moment hochgehen kann.
    »Sonst noch was?«, blaffte Zorn ihn an.
    »Ja«, erwiderte die Alte. »Es ist ein Mops. Das ist doch wichtig, oder?
    »Sicher.« Zorn deutete auf den Pförtner. »Der Kollege hilft Ihnen gerne weiter. Er ist Profi.«
    »Danke, junger Mann.« Sie wandte sich an den Pförtner. »Er ist schwarz, mit einem weißen Fleck am Hals. Und er heißt Bodo, falls Sie das wissen müssen.«
    Die Antwort des Pförtners wurde durch die Scheibe gedämpft.
    »Wie bitte?«, rief die alte Frau.
    »Ich habe Ihren Personalausweis gefunden!«, wiederholte der Pförtner mit erhobener Stimme, den Blick auf Zorn gerichtet. Die Alte blinzelte verwirrt.
    »Meinen?«
    »Nein, seinen«, sagte der Pförtner.
    »Und was ist jetzt mit Bodo?«
    »Er lag neben dem Getränkeautomaten.«
    »Bodo?«
    »Nein, der Ausweis«, erklärte ihr der Pförtner geduldig.
    Zorn, der in den letzten Sekunden ein paar Zentimeter geschrumpft war, kam kleinlaut näher. Bert, der Pförtner, schob den Ausweis durch den Dokumentenschlitz.
    »Passen Sie beim nächsten Mal besser auf, Kollege.«
    »Danke«, murmelte Zorn.
    Er wartete auf ein hämisches Grinsen, eine anzügliche Bemerkung über den dämlichen Hauptkommissar, der neulich nicht nur die Nerven verloren hatte, sondern auch noch zu blöd war, auf seinen Ausweis aufzupassen. Doch das Gesicht des Pförtners blieb unbewegt.
    »Sie nehmen jetzt erst mal Platz«, sagte er zu der alten Dame. »Ich rufe einen Kollegen.«
    Zorn schlenderte in Richtung Ausgang.
    Die Türen glitten auf.
    »Sie

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