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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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eine Erinnerung in ihrem Kopf auf, etwas hatte er gesagt, sie wusste nicht mehr, wann. Erst recht nicht, was es gewesen war, aber sie spürte, dass es wichtig war. Sie waren spazieren gewesen, am Fluss. Oder am Zoo? Es war dunkel, sie hatte den Kragen des Mantels hochgeschlagen, Jan hatte den Arm um sie gelegt, sie erinnerte sich, dass sie gefroren hatte.
    Was hatte er gesagt, verdammt?
    Die Staatsanwältin wälzte sich auf die Seite, spürte das kühle Leder des Sofas.
    Sie stopfte das Kissen unter die Wange.
    Und schlief ein.
    *
    »Ich kann jetzt nicht reden, Malina.«
    »Dann hör mir einfach nur zu.«
    Zorn überlegte. Wann hatte er sie zuletzt gesehen? Vor vier Tagen? Fünf? Es kam ihm vor, als wären Monate vergangen. Ohne es zu merken, hatte er sich von ihr entfernt, seit Ewigkeiten, schien es, hatte er nicht mehr an sie gedacht.
    »Liebst du mich?«, fragte sie.
    Pause.
    »Ja.«
    Stimmte das? Wirklich?
    Er versuchte, sich ihr Gesicht vorzustellen. Die hellen Augen, er hatte sich nie entscheiden können, welche Farbe sie hatten. Das schwarze, widerspenstige Haar. Den Fliederduft. Er hatte sich oft gefragt, woher er kam. Sie benutzte kein Parfum.
    Es funktionierte nicht. Das Bild blieb verschwommen, begann bereits zu verblassen.
    »Ich muss arbeiten, Malina. Lass uns später reden.«
    »Ich fliege morgen nach Zagreb.«
    »Kommt Hermann mit?«
    Er biss sich auf die Zunge. Zu spät, es war heraus.
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Sag du’s mir.«
    »Du bist ein Blödmann.«
    In diesem Augenblick sah er sie vor sich, deutlich, als säße sie direkt neben ihm. Sie hatte den Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt, ihre linke Hand spielte mit einer Haarsträhne.
    »Du hast mich nie nach ihm gefragt.«
    Natürlich hatte er das. Oder? Egal, er hatte genug gesehen.
    »Kapierst du eigentlich, worum es geht, Claudius? Du hast mir nicht vertraut. Ich habe ein paar Tage gewartet, weil ich dachte, du denkst ein bisschen nach, kommst von allein drauf. Du hast dich nicht gemeldet.«
    »Ich musste arbeiten. Hier ist die Hölle los.«
    »Ist das so wichtig?« Sie klang ruhig. Da war weder Wut noch Traurigkeit in ihrer Stimme. Etwas anderes schwang mit. Resignation vielleicht. »Ich laufe niemandem nach, auch dir nicht.«
    Zorn wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Zwischen uns war etwas Besonderes«, sagte sie. »Irgendwas, das man nicht in Worte fassen kann. Ich finde es nicht mehr.« Ihre nächsten Worte gingen im Klingeln einer Straßenbahn unter. Zorn verstand nur, dass sie Hermanns Namen erwähnte.
    »Was sagst du?«, fragte Zorn.
    »Egal. Leb wohl, Claudius.«
    Er starrte auf das Handy, bis das Display erlosch.
    Hinter ihm hupte es. Der Stau hatte sich aufgelöst.
    Zorn fuhr weiter.
    *
    Der Richter schnarchte.
    Er lag in der Badewanne, die Hände auf der Brust gefaltet, als warte er auf seine eigene Beerdigung. De Koop lehnte zwei Meter entfernt an der Tür, die Stummel der verkrüppelten Hand spielten mit dem Reißverschluss seines Shirts. Der Blutfleck auf seiner Schulter war eingetrocknet, er wirkte entspannt, ab und zu bewegte er den Kopf hin und her, wie ein Schwimmer, der die Muskeln lockert.
    Der Richter hustete im Schlaf, stammelte leise vor sich hin. Seine Augenlider zuckten, ein Kratzen, die unrasierten Wangen schabten über das gesplitterte Emaille des Wannenrands.
    »Schlaf weiter«, murmelte de Koop.
    Es klang tröstend, doch seine Augen waren kalt, unbeteiligt. Als betrachte er eine Wespe, die halbtot im Limonadenglas schwimmt.
    Er verschränkte die Arme vor der Brust.
    Und wartete.
    *
    Frieda Borck träumte von Jan Czernyk. Sie lächelte im Schlaf, es war ein guter Traum. Es gab keine Entführten, keine Toten, niemand war erschlagen oder vergiftet worden. Sie sah sich selbst auf dem Sofa liegen, ihr Mund stand halb offen, anstatt des alten Bademantels trug sie ein weißes, spitzenbesetztes Seidenkleid, ihr Haar war gekämmt, um den Hals schlang sich eine Kette aus schwarzen Perlen. Das Zimmer war aufgeräumt, das schmutzige Geschirr auf dem Couchtisch verschwunden, da, wo der Teller mit dem angebissenen Apfel gestanden hatte, war jetzt eine Vase mit einem riesigen Rosenstrauß.
    Die Blumen stammten von Jan, er würde gleich kommen. Es ging ihm gut, seine Augen waren gesund, all das war nur ein dummes, sinnloses Missverständnis gewesen, eine Fehldiagnose, der Arzt, dieser Idiot, hatte sich geirrt.
    Ja, bald würde er da sein. Er würde etwas zu Essen mitbringen, gegrilltes Mangohühnchen und

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