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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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noch im Laden, in der Hand hielt er eine durchsichtige Plastiktüte. Zorn durchbohrte ihn mit einem Blick, der verächtlich und gleichzeitig gelassen wirken sollte. Was sich als äußerst schwierig gestaltete, da Hermann eine Stufe höher stand. Zorn musste den Kopf in den Nacken legen, um den Blickkontakt nicht zu verlieren.
    Jetzt überlegte er angestrengt, was er tun sollte. Beiseite treten? Nee, dachte er und kniff die Augen leicht zusammen, um noch ein wenig bedrohlicher zu erscheinen. Das käme einer Kapitulation gleich. Vorbeidrängeln? Auch nicht. Ignorieren? Zu spät.
    Hermann sah nicht gut aus, Zorns Schlag hatte unübersehbare Spuren hinterlassen. Der Nasenrücken war mit Pflastern verklebt, um die Augen hatten sich bläuliche Blutergüsse gebildet. Sein Gesicht erinnerte Zorn an einen dieser putzigen Bären mit den riesigen Augen, er kam nicht darauf, wie die Tiere hießen. Pandas? Waren das nicht auch Vegetarier?
    Nicht blinzeln, dachte Zorn. Bloß nicht blinzeln!
    Schließlich war es Hermann, der dieses stumme Duell beendete.
    »Ich darf doch«, sagte er und trat einen Schritt vor.
    Zorn blieb nichts anders übrig, er zog den Bauch ein und ließ ihn vorbei. Ihre Jacken berührten sich kurz, dann war Hermann um die Ecke verschwunden. Einen Moment stand Zorn perplex in der Tür, es roch nach Hefe und frischen Brötchen, das mochte er eigentlich, doch nun war ihm das egal, er musste diesem Kerl, diesem pseudointellektuellen Müslikocher, die Meinung geigen. Und zwar jetzt.
    Er sprang auf den Bürgersteig.
    »Blödes Arschloch!«
    Hermann war zehn Meter entfernt, er blieb stehen, drehte sich um und kam langsam zurück. Die Absätze seiner Stiefel klapperten auf dem Pflaster.
    »Meinst du mich?«
    Seine Stimme klang nasal, das Pflaster behinderte ihn beim Sprechen. Angst schien er nicht zu haben, er baute sich vor Zorn auf und schob den Hut nach hinten. Das Haar fiel ihm in die Stirn, die Ähnlichkeit mit einem jungen Pandabären wurde größer.
    Zorns Wut ebenfalls. Sie raubte ihm buchstäblich den Atem und, schlimmer noch, die Worte. Gedankenfetzen rasten durch seinen Kopf, gepaart mit Beleidigungen, wirren Beschimpfungen, die absurderweise alle mit Backwaren zu tun hatten.
    Du bist Schuld, dass Malina weg ist, du Quarktasche! Was findet sie an dir? Was kann so toll daran sein, einen Blödmann wie dich zu vögeln? Ich fass es nicht, sie hat mich verlassen, wegen dir, einem hohlköpfigen Hefezopf, und jetzt stehst du da und grinst mich an wie eine Marzipankartoffel, sie war glücklich mit mir! Mit MIR! Und nicht mit dir, du Nussecke!
    Nichts davon sprach er aus, seine Zunge klebte am Gaumen, stumm funkelte er Hermann an, ballte die Fäuste und spürte, wie ihm der Schweiß an den Achseln hinabrann.
    »Was ist?«, fragte Hermann. »Willst du mir noch eine reinhauen?«
    »Arschloch.«
    »Was Besseres fällt dir nicht ein?«
    STREUSELSCHNECKE!
    Das war alles. Nicht sehr originell.
    Zorn kam auch nicht dazu, es auszusprechen. Er hörte einen lauten Ausruf, auf der anderen Straßenseite stand eine massige Gestalt und winkte aufgeregt zu ihm hinüber.
    »Mein Freund!«, rief der Lampenmann, fasste seinen Rucksack und rannte, ohne nach links oder rechts zu sehen, über die Fahrbahn. Die Plüschtiere tanzten an seinem Gürtel, schweratmend blieb er vor Zorn stehen.
    »Guck, sie brennt immer noch!«, keuchte er und wies stolz auf die Lampe auf seinem Kopf. Seine Wangen waren gerötet, glühten förmlich unter dem schwarzen Bart.
    »Was soll die Scheiße?«, blaffte Zorn. Hermann gegenüber war er sprachlos gewesen, jetzt fand er die Worte wieder. Nett waren sie nicht. »Rennst du mir nach, oder wie?«
    »Ja. Du bist mein Freund, ich hab dich gesehen. Dann bin ich zu dir gelaufen.«
    »Ich bin nicht dein Freund, verflucht nochmal!«
    »Doch!« Der Lampenmann nickte eifrig. »Das bist du!«
    Er stand zwischen den beiden wie ein Ringrichter beim Boxkampf. Hermann war einen Schritt zurückgetreten. Der Lampenmann warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
    »Aber er ist nicht dein Freund, oder?«
    »Nein, verdammt, das ist er nicht!«
    Zorn stieß eine Verwünschung aus. Es klang wie Salzbrezel.
    »Ist er dein Feind? Hat er dich geärgert?«, fragte der Lampenmann ernst.
    »Ja!«
    »Was hat er gemacht?«
    »Das geht dich nichts an! Und jetzt lass mich gefälligst in Ruhe!«
    Der Lampenmann schien unschlüssig, dann nickte er.
    »Dann gehe ich jetzt.«
    Er rückte den Gürtel zurecht und trabte schwerfällig davon.
    Zorn,

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