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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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dürfen Bodo nicht füttern!«, rief ihm die Alte nach. »Er hat Verdauungsprobleme!«
    *
    Czernyk schwankte wie ein betrunkener Seemann. Tageslicht blitzte durch die Oberlichter der vernagelten Fenster. Er stand direkt vor der Tür zum Westflügel, dahinter erkannte er den leicht gebogenen, dämmrigen Flur, die Badezellen reihten sich aneinander. Als er sich umsah, bemerkte er, dass er im Halbkreis gelaufen war. Er ging in die Mitte der Halle, setzte sich auf den Brunnenrand. Sein Blick wanderte durch den Raum, hinauf zu den gemauerten Bögen der Kuppel, streifte über die Fenster, den provisorischen Schreibtisch, verharrte auf einem Farbeimer neben der großen Eingangstür. Die Aufschrift konnte er deutlich erkennen, helle Buchstaben auf einem blauen Balken:
POLARWEISS
    Angetrocknete Farbe klebte am Deckel, selbst das, was in kleiner Schrift neben einem blauen Umweltlogo stand (hoch deckende Dispersionsfarbe), sah er, etwas undeutlich zwar, aber lesbar. Doch alles, was sich mehr als einen Meter entfernt neben dem Eimer befand, wurde von einem Schleier verdeckt, als habe er ein Stück durchsichtiges, verdrecktes Plastik vor dem Kopf, mit kleinen ausgeschnittenen Löchern für die Augen.
    Czernyk bewegte den Kopf ein wenig nach links, jetzt sah er die Türschwelle, sofort verschwand der Eimer. Noch ein paar Zentimeter nach links, dort lag seine Brille, das Gestell war verbogen, das Glas gesplittert.
    Die Türschwelle war weg, der Eimer auch.
    War es schlimmer geworden? Innerhalb so kurzer Zeit?
    Ja, das war es. Und es würde erst aufhören, wenn er endgültig blind war.
    Czernyk begann zu wimmern.
    Ein klagendes Stöhnen, voller Angst, leise erst, dann langsam anschwellend, Wut ließ seine Stimme zittern, schließlich brüllte er aus voller Kraft, lauter, immer lauter, er hielt sich die Ohren zu, legte all seine Verzweiflung, den Hass und die Qual in diesen Schrei und als er schließlich verstummte, hing das Echo noch lange unter der hohen Kuppel.
    Eine Weile hockte er still auf dem Brunnenrand, das Gesicht in den Händen vergraben. Dann gab er sich einen Ruck und stand auf.
    Etwas musste er noch erledigen. Er hatte ein paar Stunden Zeit, musste warten, bis es dunkel wurde.
    Irgendwann würde es keinen Unterschied mehr für ihn machen.
    Aber noch sah er etwas, wenn er die Augen aufmachte.
    Noch.
    *
    Zorn stapfte eilig über den Parkplatz. Im Laufen zündete er sich eine Zigarette an, dabei überlegte er, ob er zu seinem Stammplatz hinter der Hecke gehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sein Magen rumorte, kein Wunder, das Wiedersehen mit Bert, dem Pförtner, hatte keine guten Erinnerungen geweckt. Zorn, der Verdränger, begründete dieses Grummeln im Bauch allerdings mit der Tatsache, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte und beschloss, beim Bäcker um die Ecke etwas zu holen. Was, wusste er nicht, er verspürte nicht den geringsten Appetit.
    Er ging über die Hauptstraße, in der Mitte blieb er zwischen den Straßenbahnschienen stehen, der Verkehr war dicht, er musste auf eine Lücke warten. Fünfzig Meter weiter war eine Ampel, doch er hatte keine Lust, einen Bogen zu laufen. Ein Lkw brauste vorbei ( KOMPETENZ IN SCHROTT, las Zorn auf der Plane), er schnippte die Zigarette fort und sprintete über die Fahrbahn. In Gedanken war er noch immer mit Bert, dem Pförtner, beschäftigt.
    Ich sollte ab und zu mal den Mund halten, überlegte er ein wenig außer Atem und öffnete die kleine Ladentür der Bäckerei. Oder wenigstens nachdenken, bevor ich die Klappe aufmache.
    Ein guter Vorsatz. Der sich allerdings in Luft auflöste, denn in der Tür prallte er mit einem jungen Mann zusammen, dessen Anblick Zorns ohnehin schon wallendes Blut zum Kochen brachte.
    Vor ihm stand Hermann, der Vegetarier.
    *
    Elias de Koop hatte sich aufgerichtet und lauschte in die Dunkelheit hinein. Im ersten Moment hatte er nicht verstanden, was er da hörte, es klang wie das Brüllen eines verwundeten Tieres. Die Mauern waren dick, hatten kaum etwas hindurchdringen lassen, doch er ahnte, wer diesen Schrei ausgestoßen hatte. Er hatte die Verzweiflung gespürt. Und die Angst.
    De Koop tastete nach der Wand, setzte sich wieder auf den Boden. Sein Puls ging ruhig, Furcht war etwas, das er nicht kannte. Er legte den Kopf schief und horchte, jetzt war alles still. Der Richter gab keinen Laut von sich, er schlief fest.
    Vielleicht war er auch tot.
    Doch das war Elias de Koop egal.
    *
    Sie starrten sich schweigend an. Hermann stand

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