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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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würde. Warum, hatte Zorn nie erfahren, es hatte ihn auch nicht interessiert, ob Kusch die Anzeige zurückgezogen hatte oder ob es andere Gründe gab.
    Klar war, dass Kusch ihn nicht leiden konnte. Umgekehrt war es genauso.
    Sie hatten jeden Kontakt vermieden, und wenn sie sich zufällig im Präsidium über den Weg liefen, hatte Zorn den riesigen Wachtmeister tapfer ignoriert.
    Etwas, das jetzt schlecht möglich war. Am liebsten wäre Zorn aufgesprungen und davongerannt, doch er traute sich nicht, hockte stattdessen mit hängenden Schultern zwischen Schröder und Kusch und fühlte sich wie ein Robbenbaby, eingeklemmt zwischen einem kleinen und einem großen Walross.
    Niemand am Tisch schien etwas zu bemerken. Schröder schlürfte seinen Orangensaft und sah sich im Saal um, Czernyk und Frieda Borck hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich leise. Auch Kusch hatte sofort ein angeregtes Gespräch mit seiner Tischnachbarin begonnen.
    Zorn saß da und sehnte sich nach einer Zigarette.
    Die Kronleuchter im Saal wurden gedimmt, gleichzeitig erhellte sich die Bühne. Es wurde still, alle Augen richteten sich nach vorn.
    Schröder straffte sich.
    »Jetzt spricht der Polizeipräsident.«
    Es klang, als würde er die Rolling Stones ansagen.
    Die nun folgenden Minuten dehnten sich zu einer kleinen Ewigkeit. Der Polizeipräsident, ein grauer, hochgewachsener Mann, leierte seine Rede herunter wie der Papst eine lateinische Liturgie. Er begann mit den Erfolgen, die Sie und ich, meine Damen und Herren, in den letzten Jahren bei der Verbrechensprävention vorzuweisen hatten, flocht ein paar Nichtigkeiten über die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Bürgern, die Hand in Hand mit den polizeilichen Organen ihren Weg durchs Leben gehen ein und scheute sich nicht, mit unbewegter Miene den ein oder anderen Witz einzuflechten: Damit, wie mein Großvater immer sagte, will ich Ihnen keinesfalls Honig ums Brot schmieren, meine Damen und Herren.
    Höfliches Lachen perlte durch den Saal, vereinzelt brandete Beifall auf. Verwundert registrierte Zorn die freundliche Atmosphäre, niemand schien sich zu langweilen oder an der Art, wie der Redner seinen sperrigen Text ins Mikrophon nuschelte, zu stören. Zorns Verwunderung wich einer gewissen Wehmut, als er feststellte, dass er niemals zu dieser Gruppe gehören würde: Menschen, die einen Sinn in ihrer Arbeit sahen und heute zusammengekommen waren, um zu feiern.
    Nun ja, dachte Zorn ein wenig trotzig. Ich bin halt ein Außenseiter, was soll ich machen?
    Wachtmeister Kusch wandte Zorn den Rücken zu, die Augen auf die Bühne gerichtet. Czernyk lauschte mit unbewegter Miene, die Staatsanwältin spielte an ihrer Halskette und hörte aufmerksam, fast gebannt, zu.
    Zorn entspannte sich ein wenig. Im Moment achtete niemand auf ihn, er war Teil der Masse. Und das, wunderte er sich still, hatte auch sein Gutes.
    Der Polizeipräsident redete unverdrossen weiter. Zorn unterdrückte ein Gähnen, als Schröder ihm von hinten auf die Schulter tippte.
    »Er macht das nicht schlecht, oder?«
    »Ja«, flüsterte Zorn zurück. »Aber es zieht sich ganz schön hin.«
    *
    Zwanzig Minuten später war auch das überstanden. Das Orchester spielte einen schnellen, lateinamerikanischen Tanz, einen Cha-Cha-Cha, so hatte es der Bandleader jedenfalls angekündigt. Zorn saß jetzt mit Czernyk allein am Tisch, Schröder tanzte mit Frieda Borck, Kusch und seine Begleiterin waren in Richtung Büfett verschwunden. Auf der Bühne flackerten bunte Scheinwerfer, das bonbonfarbene Licht spiegelte sich in Czernyks Brillengläsern.
    »Geht’s Ihnen besser?«
    Zorn hob die Augenbrauen.
    »Warum sollte es mir schlecht gehen?«
    »Nun«, Czernyk drehte an seinem Manschettenknopf, »Sie sahen vorhin ein wenig angespannt aus.«
    Sie mussten laut reden, fast rufen, um die Musik zu übertönen.
    »Ich bin kein Öffentlichkeitsmensch«, erklärte Zorn. »Diese Masse engt mich irgendwie ein.«
    »Warum sind Sie dann hier?«
    »Gute Frage.« Zorn überlegte einen Moment, dann trank er von seinem Bier. »Ich glaube«, sagte er und wischte sich den Mund ab, »ich wollte Schröder eine Freude machen.«
    Vor Czernyk stand ein halbvolles Whiskyglas. Er prostete Zorn zu und trank es in einem Zug aus.
    »Mir geht es ähnlich. Frieda hat mich regelrecht hergeschleppt. Wenn ich nicht mitgegangen wäre, hätte sie mich eine Woche lang nicht angeguckt.«
    Zorn überlegte, ob er fragen solle, wie lange die beiden jetzt zusammen seien,

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