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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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weiß«, behauptete er trotzdem. »Aber wir sind doch noch gar nicht fertig. Wir müssen Jeremias Staal zur Fahndung ausschreiben!«
    »Schon passiert.«
    »Und die Vermisstenmeldungen müssen wir durchgehen, vielleicht wird er ja schon gesucht!«
    Das klang fast flehentlich. Zorn wollte einfach nicht nach Hause. Schröder schien es nicht zu bemerken.
    »Machen wir morgen, Chef.«
    »Seit wann machst du denn pünktlich Feierabend? Das ist unfair!«
    »Wir sehen uns heute Abend.« Schröder nahm seinen Mantel vom Haken. »Und zieh dir was Ordentliches an.«
    Zorn ließ ein entrüstetes Prusten hören.
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich da auftauche?«
    »Ich weiß, dass du diese Veranstaltungen nicht magst.«
    Das war untertrieben. Zorn wäre lieber zu seiner eigenen Hinrichtung gegangen.
    »Wir könnten auf meine Genesung anstoßen.« Schröder stand bereits in der Tür und knöpfte den Mantel zu. »Den kleinen Gefallen könntest du mir doch tun, oder?«
    Zorn dachte an seine leere Wohnung. Es war eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Oder zwischen Sushi und Tofu. Beides war schlimm.
    »Das ist Erpressung der übelsten Sorte«, knirschte er.
    »Aber für einen guten Zweck. Ich würde mich jedenfalls freuen. Ich denke, ich bin da nicht der Einzige.«
    Das, murmelte Zorn, als er dann allein war und schwermütig auf seine Hände starrte, wird sich noch herausstellen.
    Womit er ausnahmsweise recht hatte.

Neun
    Menschenansammlungen waren Claudius Zorn ein Gräuel. Am Schlimmsten war es in geschlossenen Räumen, dann hatte er immer das Gefühl, beobachtet zu werden. Das machte ihn unsicher, und es kam ihm so vor, als würde er vor tausenden von Fernsehkameras über einen roten Teppich stolpern.
    In den meisten Fällen war das Einbildung, doch als er am Abend den Saal des städtischen Kongresszentrums betrat, richteten sich tatsächlich einige verwunderte Augenpaare auf ihn.
    Zorn kam spät, sämtliche Tische waren besetzt. Gläser klirrten, Kellner wuselten umher, Männer in dunklen Anzügen unterhielten sich mit Frauen in Abendkleidern und Hochsteckfrisuren. Der Saal war hell erleuchtet, es war kühl, und trotz der Papiergirlanden, Kerzen, vollen Weinflaschen und den weißen Tischdecken hatte Zorn das Gefühl, sich in einer überfüllten Bahnhofshalle zu befinden.
    Fehlt nur noch der Schaffner, der mich nach der Fahrkarte fragt, murmelte er, ging an der Bar direkt neben dem Eingang in Deckung und bestellte ein Bier.
    Während er wartete, verfluchte er zunächst den Entschluss, hergekommen zu sein, danach Schröder und dessen Einladung und schließlich den Tag, an dem er sich bei der Polizei beworben hatte.
    Die große Bühne am anderen Ende des Saals lag im Halbdunkel. Zorn erkannte ein Schlagzeug, Verstärker, Musikinstrumente und ein Rednerpult. Darüber hing ein riesiges, grün-weißes Plakat.
    DIE POLIZEI. INFORMIEREN. AGIEREN. VORBEUGEN.
    Der Barmann brachte das Bier. Nach dem ersten Schluck fühlte Zorn sich besser, jetzt, da er glaubte, aus der Schusslinie zu sein und nicht mehr angestarrt zu werden wie ein Außerirdischer. Er würde schnell austrinken und gehen, später konnte er immer noch behaupten, Schröder in der Menge nicht gefunden zu haben. Kein schlechter Plan, fand Zorn und drehte sich mit dem Rücken zum Saal, denn er ahnte, dass Schröder ihn bereits suchte.
    »Da bist du ja, Chef!«
    Schröder hatte sich herausgeputzt. Er trug einen cremefarbenen, etwas zu weiten Anzug, das frisch rasierte Doppelkinn glänzte über einer gepunkteten Krawatte. Er schien Haarwasser benutzt zu haben, die roten Strähnchen klebten säuberlich geordnet parallel über der Glatze. In der Hand hielt er ein Glas Orangensaft.
    »Ich hab dir einen Platz freigehalten.«
    »Toll.«
    Schröder tänzelte mit hoch erhobenem Glas davon, schlängelte sich elegant zwischen den Tischen hindurch, er schien jeden im Saal zu kennen, grüßte, lächelte und verteilte sogar Handküsse unter den Damen. Widerwillig folgte ihm Zorn, entdeckte hier und da ein bekanntes Gesicht und stellte dabei fest, dass er der Einzige zu sein schien, der weder Jackett noch Krawatte trug.
    Schröder steuerte auf einen Sechsertisch direkt vor der Bühne zu. Im Näherkommen erkannte Zorn den nackten Rücken von Frieda Borck, sie trug ein dunkelrotes Samtkleid und unterhielt sich angeregt mit einem Mann, der Zorn ebenfalls bekannt vorkam, von hinten aber schwer zu identifizieren war.
    »Da wären wir, Chef.«
    Frieda Borck drehte sich um, dann stand sie

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