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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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verblüfft auf.
    »Sie wären der Letzte, den ich hier erwartet hätte, Kollege Zorn.«
    »Da sind Sie nicht die Einzige, Frau …«
    Zorn verstummte.
    Der Mann neben ihr hatte sich ebenfalls erhoben.
    »Nett, Sie hier zu sehen.«
    Jan Czernyk streckte ihm die Hand entgegen.
    »Ja«, nickte Zorn. Mehr fiel ihm nicht ein.
    Sie hatten sich vor ein paar Monaten kennengelernt. Zorn hatte in einem Fall von Kinderpornographie ermittelt, Czernyk war als Spezialist hinzugezogen worden. Er hatte unter anderem Videos ausgewertet, unsägliche Filme, die Zorn nicht eine Minute hatte ansehen können.
    »Schön, dass Sie hier sind, Herr Czernyk.«
    Das war ausnahmsweise ehrlich gemeint. Zorn mochte den Mann mit den asiatischen Gesichtszügen, obwohl er für seinen Geschmack viel zu penibel gekleidet war. Doch Czernyk war ein knallharter Ermittler, dafür bewunderte ihn Zorn. Nun, das war ein wenig übertrieben, der einzige Mensch, den Claudius Zorn auf dieser Welt von Herzen bewunderte, war Iggy Pop. Manchmal auch Clint Eastwood, je nachdem, in welchem Film er gerade spielte.
    Schröder hatte sich indessen hingesetzt. Zorn nahm rechts neben ihm Platz, links war ein Stuhl frei, daneben saß eine unscheinbare blonde Frau in den Fünfzigern. Zorn hatte sie noch nie gesehen.
    »Was willst du trinken, Chef?«
    »Nichts, ich hab noch ein …«
    Mist, hatte er nicht. Das Bier stand an der Bar, er hatte es vergessen.
    Zorn kam sich vor wie ein Fremdkörper. Verlegen krempelte er die Hemdsärmel hoch und taxierte unauffällig die Entfernung zum Ausgang. Wenn er verschwinden wollte, musste er quer durch den gesamten Saal. Ein peinlicher Gedanke.
    Ebenso peinlich wie das Schweigen, das sich wie Plastikfolie über den Tisch breitete, jetzt, wo alle ihren Platz gefunden hatten. Zorn schien der Einzige zu sein, dem die Situation unangenehm war.
    Die Staatsanwältin nippte an ihrem Wein.
    »Kollege Schröder hat unheimliches Glück gehabt, nicht wahr?«
    Czernyks Hand lag auf ihrem Unterarm. Ein gutaussehendes, sehr elegantes Paar. Zorn spürte ein Stechen in der Magengegend. Eifersucht? Nicht unbedingt, aber er schien nicht nur unpassend gekleidet, sondern auch der Einzige zu sein, der ohne Begleitung erschienen war. Außer Schröder vielleicht, doch der zählte nicht.
    »Ja«, nickte Zorn. »Das hat er wohl.«
    Wieder spürte er, wie sehr Malina ihm fehlte. Sie hätte sofort ein Gespräch angefangen, wahrscheinlich zuerst mit Frieda Borck, hätte ihr Kleid gelobt und gefragt, wo sie die goldenen Ohrringe mit den Perlen gekauft hatte. Ja, Malina fehlte ihm wirklich, sie konnte wunderbar unverfängliche Gespräche führen, Zorn hätte sich jetzt zurückgelehnt, zugehört und an den richtigen Stellen gelächelt.
    Er schluckte den Kloß im Hals hinunter und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie war weg, wahrscheinlich bei Hermann, dem vegetarischen Arschloch. Je mehr er sich den Kopf zerbrach, desto schlimmer wurde es. Schluss. Aus. Scheiße.
    »Was genau ist denn passiert?«, fragte Czernyk.
    »Ein kleiner Unfall.« Schröder öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. »Mehr nicht.«
    »Also ich kenne niemanden«, erklärte Frieda Borck, »der einen Sturz aus solcher Höhe als einen ›kleinen Unfall‹ bezeichnen würde. Sie hatten einen Schutzengel.« Dann wandte sie sich an Zorn. »Wo ist eigentlich Ihre reizende Lebensgefährtin?«
    Danke der Nachfrage, dachte Zorn. Jetzt hast du mir den Abend endgültig versaut.
    »Sie fühlt sich nicht gut«, log er. »Schnupfen.«
    Seine Laune sank. Doch den absoluten Tiefpunkt sollte sie erst einen Augenblick später erreichen.
    Von den Toiletten näherte sich ein bulliger Mann, sein Anzug schien fast aus den Nähten zu platzen. Zorn kannte ihn nur in Uniform, jetzt, in Zivil, wirkte er eher wie ein Gangsterboss in einem amerikanischen Mafiafilm.
    Wachtmeister Kusch, der Streifenpolizist, dem Zorn eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung verdankte, weil er ihm einmal während einer Verkehrskontrolle den Mittelfinger gezeigt hatte.
    Als Kusch erkannte, wer da plötzlich mit am Tisch saß, blieb er überrascht stehen. Einen bangen Moment befürchtete Zorn, Kusch würde ihm die riesigen Hände um den Hals legen und ihn in aller Öffentlichkeit langsam erwürgen, doch der Streifenpolizist blinzelte nur kurz, ließ sich aber nichts anmerken.
    »Ich darf doch?«
    Bevor Zorn etwas erwidern konnte, saß der Wachtmeister neben ihm.
    Im August war ihm mitgeteilt worden, dass man die Ermittlungen einstellen

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