Zorn - Wo kein Licht
mochte Schröder und liebte Malina. So sehr, wie es ihm, dem Einzelgänger, möglich war, etwas unbeholfen zwar, aber von Herzen. Da war niemand, mit dem er lieber zusammen gewesen wäre.
Außer Schröder vielleicht. Manchmal, jedenfalls.
Diese Dinge gingen Zorn durch den Kopf, als er sich durch den abendlichen Stau in Richtung Bahnhof quälte. Am Kreisverkehr stand sein Hochhaus. Ganz oben, im vierzehnten Stock, saß Malina und wartete auf ihn.
Er hätte längst bei ihr sein können. Aber er war einen Umweg gefahren.
Warum, fragte er sich und bremste an einer Ampel, warum um alles in der Welt mache ich das? Weil ich ein paar Minuten Ruhe will? Bin ich bekloppt? Sie sitzt zu Hause, und ich habe nichts anderes zu tun, als ziellos durch die Gegend zu kurven?
Wenn ich mit ihr zusammen bin, will ich allein sein. Wenn sie weg ist, vermisse ich sie.
Scheiße.
Er war jetzt fast vierundvierzig, alt genug, um zu wissen, was er wollte. Trotzdem überlegte er immer wieder, warum er jedes Mal erleichtert aufatmete, wenn er morgens die Wohnungstür hinter sich zuzog und kurz darauf im dämmrigen Hausflur auf den Aufzug wartete.
Er wusste es nicht.
Als er den Volvo in der Tiefgarage abschloss, war er so ratlos wie zuvor.
Sie hatte ihm nicht gesagt, weshalb sie damals so plötzlich verschwunden war. Er hatte nicht gefragt, weil er Angst vor ihrer Antwort hatte.
Irgendwann würde er es tun. Vielleicht.
Heute jedenfalls nicht, dachte er und stieg in den Aufzug.
*
Die Wohnung des toten Bankangestellten lag im Erdgeschoss eines dreistöckigen Mietshauses im Norden der Stadt, direkt an einer von Kastanien gesäumten Hauptstraße. Schräg gegenüber war der Hintereingang des Zoos, hinter dem Wohnblock erhob sich eine Reihe bewaldeter Hügel, deren Flanke steil zum Fluss hinabführte.
Das Viertel gehörte nicht unbedingt zu den feinsten Gegenden, die lagen am anderen Flussufer, andererseits war es auch nicht zu vergleichen mit den verwahrlosten Betonburgen im Süden und Westen der Stadt.
Schröder stand im Flur, er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück. Das tat er immer, wenn er nachdachte. Auch jetzt, denn etwas gefiel ihm nicht. Er musste nur noch herausfinden, was das war.
Die Wohnung war klein. Außer einer winzigen Küche gab es nur zwei Räume, einen zum Schlafen, der andere bot gerade Platz für ein Sofa, den Fernseher, einen Schreibtisch und eine dunkle Schrankwand, die mindestens dreißig Jahre alt sein musste.
Es roch nach altem Essen und schwerem, süßlichem Herrenparfum. Schröder ging ins Schlafzimmer und riss das Fenster auf. Das schmale Bett war nicht gemacht, er hob die Decke an und strich über das Laken. Obwohl er Schutzhandschuhe trug, berührte er den Stoff nur mit den Fingerspitzen.
Er schnüffelte an der Matratze. Verzog das Gesicht und richtete sich wieder auf.
Du warst nicht sehr reinlich, murmelte Schröder. Das passt nicht zu deinem Job, oder?
Am Bett stand ein voller Aschenbecher. Daneben lag ein umgekippter Stuhl. Auf dem Boden ein Chaos aus Unterhemden, Socken, benutzten Handtüchern, dazwischen eine weiße Unterhose und eine zusammengeknüllte Anzugjacke. Auf dem Nachttisch eine altmodische Brille, vorsichtig hob Schröder sie an, hielt die dicken Gläser gegen das Licht und legte sie wieder zurück. Er bückte sich und sah unter das Bett, schnaufend schob er eine leere Pizzapackung beiseite und zog eine Zeitung hervor. Kontrollierte das Datum und nickte.
Du hast letzte Nacht hier geschlafen, darauf wette ich. Im Morgengrauen bist du einfach aufgesprungen und losgerannt. Du hast schlecht gesehen, wahrscheinlich warst du halb blind, aber deine Brille war dir in diesem Moment egal. Es hat dich nicht gekümmert, du hast alles stehen lassen, ja, nicht einmal angezogen hast du dich. Bist schnurstracks zur Brücke gelaufen und hast dich erschossen. Warum? Warst du krank? Schizophren? Oder hat dich jemand in Panik versetzt? War jemand in der Wohnung? Hat er draußen gewartet? Oder hat er dich angerufen?
Schröder lief ins Wohnzimmer, dann wieder zurück.
Aber wie soll er dich anrufen, wenn ich hier kein Telefon sehe?
Er nahm sein Handy.
»Überprüfen Sie, ob auf den Namen Meinolf Grünbein ein Telefonanschluss gemeldet ist.« Er buchstabierte den Namen. »Außerdem will ich wissen, ob ein Auto auf ihn zugelassen ist. Seien Sie so gut und geben mir in der nächsten halben Stunde Bescheid, Sie haben ja meine Nummer.«
Eine aufgeregte
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