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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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du kommst. Die Schublade vom Fernsehschrank klemmt schon wieder.« Dann bemerkte sie Zorn, der verlegen in der Tür stand. »Wir haben Besuch? Nehmen Sie Platz, junger Mann. Kaffee ist gleich fertig.«
    Schröder zog einen Stuhl nach hinten.
    »Bitteschön«, sagte er und setzte sich neben seinen Vater.
    Zorn tat, wie ihm geheißen und sah zu, wie Schröders Mutter mit langsamen Bewegungen, Tasse für Tasse, Teller für Teller, den Tisch deckte. Sie war ebenso klein wie Schröder, ihr Mann musste mindestens einen Kopf größer sein. Das Haar war sorgfältig zu einer schlohweißen, leicht bläulich schimmernden Kaltwelle frisiert, auf der kleinen Nase thronte eine Brille mit rosafarbenem Gestell. Jedes Mal, wenn sie mit schaukelnden Schritten an ihrem Sohn vorbeiging, strich sie ihm liebevoll über die Glatze.
    Über der Tür hing ein Holzschild mit messingfarbenen Buchstaben:
    ALLE WÜNSCHE WERDEN KLEIN GEGEN DEN, GESUND ZU SEIN
    »Nett haben Sie’s hier«, murmelte Zorn. Etwas musste er ja sagen.
    Schröders Vater hielt eine Kuchengabel in der Hand und fuhr mit den Zinken das Muster auf der karierten Tischdecke entlang. Auch Schröders Mutter reagierte nicht.
    »Sie hört schlecht«, erklärte Schröder. »Sie muss deine Lippen sehen, dann versteht sie, was du sagst.«
    »Will jemand Sahne?« fragte die alte Frau.
    »Gern!«, rief Zorn aus vollem Hals.
    »Sie müssen nicht so rumschreien, junger Mann.« Sie stellte eine Dose mit Sprühsahne auf den Tisch, dann holte sie einen Teller mit Rührkuchen und setzte sich neben ihren Mann.
    »Tschuldigung«, murmelte Zorn.
    Sie warf ihm einen Blick über den Rand ihrer Brille zu.
    »Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend«, sagte sie zu Schröder.
    »Ich will endlich Kaffee«, murrte der alte Mann, noch immer in das Muster auf der Tischdecke vertieft.
    »Sofort, Papa.«
    Schröder füllte die Tassen und verteilte den Kuchen, sein Vater biss ein großes Stück ab.
    »Gib Rüdiger gleich noch eins, er hat bestimmt Hunger«, sagte er mit vollem Mund.
    Zorn, der kein Wort verstand, sah Schröder an.
    »Was soll das alles?«, formte er lautlos mit den Lippen. »Wem sehe ich ähnlich?«
    »Du krümelst ja alles voll, Robert!« Schröders Mutter nahm eine Serviette und band sie ihrem Mann um den Hals, mit liebevollen, zärtlichen Bewegungen. Er ließ es schweigend geschehen, ohne mit dem Essen aufzuhören. »Iss langsam und kau ordentlich!« Sie tätschelte ihm die Wange, dann wandte sie sich wieder an Zorn. »Nett, dass Sie uns endlich mal besuchen.«
    »Ja.« Zorn nahm seine Tasse. Der Kaffee war heiß und gut. »Leider müssen wir gleich wieder los.«
    »Wissen Sie«, Frau Schröder spießte ein winziges Stück Kuchen auf, »früher hatten wir ja ständig zu tun. Den Ofen heizen, die Asche rausbringen, Kohlen ranschaffen, das war schon eine Menge Arbeit. Im Handumdrehen war der Tag vorbei. Da hinten«, sie wies neben den Herd, »stand früher der Ofen, aber seit ein paar Jahren haben wir ja Zentralheizung.«
    »Ein Glück«, nickte Zorn ein wenig hilflos. »Der Kuchen schmeckt toll, haben Sie den selbst gebacken?«
    »Nein, wir heizen mit Öl.« Als sie lächelte, stellte Zorn fest, wie ähnlich sie ihrem Sohn sah. Dieselben kleinen, leicht nach innen gebogenen Zähne mit einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie eng das hier war, stimmt’s, Robert?«
    Ihr Mann starrte bedächtig kauend auf seinen Teller, von der Unterhaltung hatte er kein Wort mitbekommen. Sie nahm seine Hand, er blickte auf, mit hellen, verträumten Augen, als erwache er aus tiefstem Schlaf.
    »Ich muss jetzt los, der Bus kommt gleich.«
    »Du hast noch Zeit«, sagte sie und wischte ihm mit einer Serviette die Mundwinkel ab. »Iss noch ein Stück Kuchen, danach legst du dich ein bisschen hin.«
    Schröder trank seinen Kaffee aus und stellte das Geschirr zusammen.
    »Wir fahren dann jetzt zur Arbeit.«
    »Genau«, nickte Zorn erleichtert. »Vielen Dank für den Kuchen.«
    »Sie müssen lauter sprechen, junger Mann!«, rief Schröders Mutter.
    »Ich sagte: Danke für den Kuchen!«
    »Er soll nicht so brüllen, ich bin nicht taub«, murrte der alte Mann.
    Schröder legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Mach’s gut, Papa, bis heute Abend.«
    »Frag Rüdiger, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat.«
    »Hat er.«
    Stühle schabten über das Linoleum, zuerst verließ Schröder die Küche. Zorn ging ebenfalls zur Tür.
    »Warten Sie.«
    Die alte Frau trat

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