Zorn - Wo kein Licht
kaum geschlafen hatte. Zorn tippte auf Letzteres und unterdrückte ein Gähnen.
Schröder sah auf.
»Sowohl als auch.«
»Dann fang mit den guten an.«
»Meinolf Grünbein und der verschwundene Richter kannten sich.«
»Ach nee!«
»Sie haben zusammen studiert, Jura, um genau zu sein. Grünbein hat abgebrochen und eine Banklehre begonnen. Aber sie waren zwei Jahre lang gemeinsam an der Uni.«
»Wie lange ist das her?« Zorn verdrehte die Augen. »Fünfzig Jahre?«
»Nicht ganz, aber ungefähr.«
»Und sonst gibt es keine Verbindung zwischen den beiden?«
» Niente. Und wir können sie auch schlecht fragen. Der eine ist tot, der andere verschwunden. Aber es ist zumindest ein Anhaltspunkt.«
»Oder ein weiterer Beweis, wie klein die Welt ist.«
»Vielleicht«, nickte Schröder.
»Wenn das die gute Nachricht war, will ich die schlechte gar nicht erst erfahren.«
»Wollen wir’s lassen?«
»Nee, mach schon.«
»Die Videoaufzeichnungen von letzter Nacht sind ausgewertet«, sagte Schröder. »Zwölf Fahrzeuge sind in die Tiefgarage gefahren, vier Streifenwagen und acht Privatautos. Einen Wagen kennen wir nicht. Ein VW Golf, das Nummernschild ist völlig verdreckt. Laut Aufzeichnungen ist er Punkt drei Uhr angekommen, eine halbe Stunde später hat er die Garage verlassen. Heute Morgen ist im Bahnhofsviertel ein Golf ausgebrannt, wir gehen davon aus, dass es sich um denselben Wagen handelt.«
»Ja und? Wer saß drin?«
»Keine Ahnung. Er hat darauf geachtet, dass sein Gesicht im Schatten bleibt. Er trug Uniform, zumindest das lässt sich mit Sicherheit sagen.«
Zorn sprang auf. Der Hocker kippte um.
»Aber er hat doch die Keycard benutzt! Da wird doch der Name registriert!«
»Normalerweise schon.«
»Was heißt das? Normalerweise? «
Schröder zuckte die Achseln.
»Systemausfall.«
»Was?«
»Ein Übertragungsfehler, sagen die Techniker. Das passiert wohl öfter, die Karte wird zwar ausgelesen, aber nicht registriert. Angeblich ist das seit langem bekannt, aber es gibt kein Geld, um die Anlage zu erneuern.«
»Ich fass es nicht.« Zorn schüttelte den Kopf. »Bin ich denn nur von Idioten umgeben?«
»Ist das eine rhetorische Frage?«
»Nein, Schröder! Das ist eine Feststellung!«
»Dem Pförtner kann man keinen Vorwurf machen, Chef.«
»Pff!«
»Die Keycard war gültig, auf dem Monitor war ein Polizist zu sehen, der mit seinem Privatwagen zum Dienst erscheint. Auf diesem Weg könnte die Leiche ins Präsidium gekommen sein. Wer es getan hat, wissen wir allerdings noch nicht.«
»Doch.« Zorn sah die schlanke Gestalt Jan Czernyks vor sich. »Wir können’s nur nicht beweisen.«
*
Ich habe alle Medikamente genommen, die es gibt, habe alles versucht, was in meiner Macht lag. Man kann es nicht heilen. Im Moment geht es noch, ich kann schreiben, lesen, Auto fahren. Aber ich merke, dass es schlimmer wird. Es ist wie ein Vorhang, der sich senkt, als würde eine Jalousie zugezogen, langsam, aber unaufhaltsam.
Czernyk blätterte um.
Bald kommt die Nacht, dann werde ich allein sein, mit all den Bildern, die ich mir jahrelang ansehen musste. Bisher habe ich das alles verdrängen können, ich habe mich abgelenkt mit Arbeit, immer mehr Arbeit. Ich war auf der Jagd, manchmal konnte ich verhindern, dass Schlimmeres passiert. Manchmal auch nicht, aber ich wusste immer, dass ich weitermachen würde. Und jetzt? Irgendwann wird mir nichts mehr bleiben, ich werde irgendwo sitzen und nichts mehr tun kön- nen.
Das ist alles, was mir bleiben wird: Diese Bilder in meinem Kopf.
Ich weiß, dass ich das nicht überstehen werde. Niemand könnte das.
*
»Und was machen wir jetzt?«
»Du könntest dich wieder setzen, Chef.«
»Hm.«
Zorn stellte den Hocker wieder auf und nahm Platz.
»Es gibt mehr als genug zu tun.« Schröder wies auf den Aktenberg, der neben den Kisten mit Reinigungsmitteln an der Wand aufgestapelt war. Graue Leitzordner, einige waren neu, andere schon ein wenig abgeschabt. Eines hatten sie gemeinsam: Sie waren dick.
Eindeutig zu dick, fand Zorn.
»Ich hab wirklich keinen Bock, weiter in diesen Prozessakten zu wühlen«, stöhnte er.
»Das musst du nicht. Vorerst jedenfalls.«
»Vielen Dank auch.«
Einer der Ordner lag vor Schröder auf dem Tisch. Er klopfte mit dem Fingerknöchel auf den Einband.
»Wir haben einen weiteren Namen, Chef.«
»Warum?«, erwiderte Zorn verdutzt. Als ihm einfiel, wie sinnlos diese Frage war, fügte er hinzu: »Wie?«
Ein ebenso alberner Einwurf.
»Du
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