Zorn - Wo kein Licht
bilden.« Schröder öffnete eine Brieftasche aus braunem Kunstlederimitat, kramte ein wenig und legte schließlich einen Zwanzigeuroschein auf den Tisch. »Für die Cola, ich hoffe, das reicht.«
Er hatte keinen einzigen Schluck getrunken.
De Koop faltete den Schein schweigend zusammen.
»Garçon!«, rief Schröder und schnippte mit den Fingern. »Meinen Mantel, s’il vous plaît!«
Seine helle Stimme füllte den Raum, so laut, dass die Gäste verstummten und die gepflegten Hälse reckten.
Schröder zog die Cordhose stramm.
Ein letzter Blick zu de Koop, ein kurzes Nicken.
Dann tippelte er davon.
*
»Aua, verdammt!«
Zum zweiten Mal war Zorn mit der Stirn an den Deckenbalken über der Treppe geknallt. Ein Paukenschlag ertönte, dann detonierte eine mittlere Atombombe in seinem Kopf. Stöhnend tastete er sich durch die enge Diele, Blitze zuckten über sein Gesichtsfeld, mit den Füßen ertastete er seine Schuhe, er bückte sich, um die Schnürsenkel zu binden. Das dauerte eine geraume Zeit.
»Wo warst du denn so lange?«
Schröders Vater stand in der Wohnungstür. Zorn richtete sich auf, die plötzliche Bewegung ließ ihn schwindeln, kurz wurde ihm schwarz vor Augen.
»Dass du nie pünktlich sein kannst!«
Der alte Mann musterte ihn vorwurfsvoll. Das weiße Hemd war frisch gebügelt, darüber trug er eine graue Strickjacke mit Lederflicken an den Ellbogen. In der Hand hielt er eine Brotbüchse aus blauem Plastik.
»Guten Tag«, grüßte Zorn. »Es stimmt, ich bin spät dran.«
Schröder hatte gesagt, dass sein Vater ein wenig dement sei. Zorn hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte.
»Hast du deine Brote eingepackt?«
Zorn suchte nach einer Antwort.
»Wer ist da?«, rief eine brüchige Frauenstimme von drinnen.
»Er ist schon wieder zu spät!«, rief Schröders Vater über die Schulter. »Es ist immer dasselbe!«
Zorn griff nach seiner Jacke.
»Ich muss leider los.«
»Und deine Schlüssel?« Der Alte schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Immer vergisst du die Schlüssel.« Er drehte die Brotbüchse in der Hand. »Mutter hat Kaffee gemacht. Der Mensch muss essen, sonst kann er nichts leisten.«
»Das ist wirklich nett, aber ich muss mich beeilen.« Zorn knöpfte die Jacke zu. »Beim nächsten Mal gern, Herr Schröder.«
Hastig griff er nach der Tür, in diesem Moment drehte sich der Schlüssel im Schloss. Schröder erschien, zwängte sich in die enge Diele, zog seine Schuhe aus und stellte sie neben den Abtreter.
»Verdammt kalt draußen.« Er rieb sich die klammen Hände, dann streifte er den Mantel von der Schulter.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sein Vater streng.
»Arbeiten, Papa.«
»Beeil dich, der Kaffee wird kalt.«
»Natürlich.« Schröder ging zu seinem Vater, nahm ihn am Arm und schob ihn sanft durch die Tür. »Geh schon mal vor, wir kommen gleich. Vergiss den Kuchen nicht.«
»Kuchen ist gut.« Das faltige Gesicht hellte sich auf. »Der Mensch muss essen, sonst kann er nichts leisten«, wiederholte der Alte und verschwand in der Wohnung.
»Lass uns abhauen«, flüsterte Zorn erleichtert und reichte Schröder den Mantel. »Wie war’s bei de Koop?«
»Das erzähl ich dir später.«
»Nein, sofort, wir haben keine Zeit, wir müssen …«
»Ich sagte, später. «
Schröder sah zu Zorn auf, sein Blick duldete keinen Widerspruch. Sein Bauch streifte Zorns Lederjacke, dann stand er in der Tür seiner Eltern.
»Wir werden jetzt mit meinem Vater einen Kaffee trinken.«
»Was?«
»Du hast mich verstanden. Die Schuhe kannst du anlassen.«
*
Die Wohnung war winzig. Immerhin, stellte Zorn erleichtert fest, waren die Decken höher als oben bei Schröder. In der Küche brannte eine Stehlampe, das kleine Fenster ließ kaum Tageslicht herein. Es war sauber, die Möbel allerdings hatten mindestens dreißig Jahre auf dem Buckel, das braune Linoleum war abgewetzt, aber blitzblank geschrubbt. Aus einem alten Kofferradio neben der Spüle plärrte in voller Lautstärke ein uralter Schlager, der Sender war nicht richtig eingestellt, es klang verzerrt, immer wieder unterbrochen durch atmosphärische Störungen.
Schröders Vater hatte sich auf eine Eckbank hinter einen Tisch gezwängt und sah schweigend auf seine Hände. Eine zierliche Frau in gelber Nylonschürze stand am Herd und hantierte mit dem Geschirr. Schröder schaltete das Radio aus und gab ihr einen Kuss auf den Hinterkopf.
»Hallo, Mama.«
Sie drehte sich um und wischte die Hände an der Schürze ab.
»Gut, dass
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