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Zorn

Zorn

Titel: Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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trifft’s am ehesten. Das könnte er sein.«
    Sie hatte sich für das Gesicht entschieden, das mit Hilfe von Kelly Barker rekonstruiert worden war, und Lucas spürte, wie sich sein Jagdinstinkt regte. In den meisten Fällen gab es einen Moment, wenn sich ein Detail oder ein Gedanke fokussierte, wo man merkte, dass man gerade einen großen Schritt vorangekommen war, und dies war so ein Moment.
    Er nickte Ryan zu und bedankte sich.
    »Wollen Sie auch zu den anderen fahren?«
    »Zu Lucy Landry und Mary Ann Ang. Die habe ich außer Ihnen noch ausfindig machen können.«
    »Lucy geht’s nicht so gut«, erzählte Ryan. »Sie hat vor fünfzehn Jahren zu Jesus gefunden. Hat nichts gebracht. Dann ist sie bei Scientology gelandet. Hat auch nicht geholfen, aber jede Menge Geld gekostet. Anschließend hat sie sich mit Buddhismus und Yoga beschäftigt, wieder ohne Erfolg, und am Ende hat sie zu trinken angefangen.«
    »Tut mir leid, das zu hören«, sagte Lucas. »Und was ist mit Mary Ann Ang?«
    Ryan schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich kaum noch an ihr Gesicht. Allerdings weiß ich, dass sie einen reichen Typen geheiratet hat. Ich glaube, einen Arzt. Und sie hat Kinder. Keine Ahnung, ob jemand über früher Bescheid weiß. Sie war nur ein paar Monate bei uns.«
    »Denken Sie, es würde ihr Leben durcheinanderbringen, wenn ich bei ihr auftauche?«
    Dorcas Ryan neigte den Kopf leicht zur Seite. »Das war für uns alle damals keine gute Zeit. Wir können von Glück sagen, dass wir das durchgestanden haben. Wenn sie jetzt ein gutes Leben führt, wäre es schade, das kaputt zu machen.«
    Lucy Landry wohnte in einem Apartment am Rand von St. Pauls Lowertown, einem jener Bezirke mit alten Ziegellagerhäusern, von denen die Stadtplaner geglaubt hatten, sie für die kreative Klientel interessant machen zu können. Lucas rief sie von der Straße aus an und hatte Glück: Sie war daheim und ließ ihn ins Haus. Lucy wohnte im siebten Stock. Er fuhr mit einem alten Lastenaufzug hinauf, der gefährlich ächzte, nach Zwiebeln stank und ziemlich langsam war.
    Lucy Landry öffnete die Tür im Morgenmantel und begrüßte ihn müde und mit glasigem Blick: »Ja, ich erkenne Sie wieder. Sie wirken taffer als damals.«
    »Alles in Ordnung?«, fragte Lucas.
    »Ja«, antwortete sie und zog den Morgenmantel enger um den Leib. »Kommen Sie rein. Ich arbeite bis spät in die Nacht und bräuchte eigentlich noch ein paar Stunden Schlaf.«
    Sie hatte ein Schlafzimmer, einen kleinen Wohnraum mit einer Küche an der einen Seite, einen runden Esstisch aus Holz, eine mit Cord bezogene Couch und einen Fernseher. Lucas setzte sich auf das eine Ende des Sofas und reichte ihr seine Bilder.
    Sie schaute sie durch und entschied sich für dasselbe wie Dorcas Ryan. »Das kommt ihm am nächsten.«
    »Glauben Sie, das ist er?«
    »Wenn ich sein Gesicht mit dem Computer, oder was auch immer das ist, zeichnen müsste, würde ich es so machen. Der Mund stimmt nicht ganz, aber ansonsten ist es ziemlich gut.« Sie erhob sich, kratzte sich geistesabwesend im Schritt, schlurfte in den Küchenbereich und kam mit einem Bleistift und einem Buch zurück. Dann legte sie das Blatt Papier auf das Buch und korrigierte mit dem Stift den Mund. Nach einem ersten Versuch, den sie ausradierte, sagte sie: »So, jetzt ist es ähnlicher.«
    Sie gab die Zeichnung Lucas zurück. Landry hatte eine kleine Veränderung vorgenommen, die viel bewirkte – nun hingen die Lippen nach unten.
    »Meinen Sie, er hat die Jones-Mädchen umgebracht?«
    »Gut möglich. Diesmal werde ich Gelegenheit bekommen, ihn das zu fragen.«
    »Ich habe auf Channel Three gesehen, dass ihm eine Frau, die er damals angegriffen hat, entwischt ist. Am Mittag bringen sie eine Sendung mit ihr.«
    Kelly Barkers Wunsch war also in Erfüllung gegangen, dachte Lucas. »Von ihr haben wir dieses Bild«, teilte er Lucy mit.
    »Was bedeutet, dass er Jahre später immer noch Mädchen aufgelauert hat«, stellte Lucy fest. »Denken Sie, es gibt Fälle, von denen niemand etwas ahnt?«
    Lucas erhob sich und steckte die Bilder von Fell in seine Aktentasche zurück. »Keine schöne Vorstellung.«
    Nach unten benutzte er die Treppe und begegnete auf halbem Weg zwei Männern, Künstlern, vermutete er, die eine große Sperrholzplatte hinuntertrugen. Als sie um eine Ecke bogen, sah er, dass sich darauf das Bild eines tanzenden Mannes befand, wie Lucas es von Tarotkarten kannte.
    Am Wagen beschloss er, Mary Ann Ang/Morgan nicht aufzusuchen.

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