Zorn
ließ den Hut des Alten ins Boot fallen, hob das Kajak über die Seite und glitt hinein. Von dort aus drehte er das Boot so, dass sein Bug in Richtung offenes Wasser zeigte, schob die Ruderpinne halbwegs in die Mitte und legte den Vorwärtsgang ein. Die Lund setzte sich in Bewegung. Er sah ihr eine Weile nach und wandte das Kajak dann zum Ufer zurück. Eine halbe Stunde später hob er es an Land und kehrte im Dunkeln zu der Hütte zurück.
Der Killer war eine Stunde draußen gewesen und konnte es nicht riskieren, noch einmal zu schlafen. Er verschloss die Hütte, ging zur Garage, öffnete die Seitentür und holte die Geländemaschine heraus. Schloss die Tür und schob das Bike die Auffahrt bis zur Straße hinauf.
Das war anstrengender, als es aussah, und der Schweiß lief ihm in Strömen herunter, als er die Straße erreichte. Dort setzte er sich auf die Maschine und machte sich auf den Weg.
Eine lange Fahrt zurück zu den Twin Cities stand ihm bevor, und er war so müde … todmüde.
DREIZEHN
Am folgenden Morgen stand Lucas früh auf, etwa zu der Zeit, als der Jones-Killer mit seiner Maschine die nördlichen Vororte erreichte. Dem Killer tat alles weh. Mit einer Geländemaschine vom Lake Vermilion zu den Twin Cities zu fahren war absurd, selbst für einen geübten Fahrer. Aber der Killer war nicht geübt und stark übergewichtig. Manchmal hatte er das Gefühl, als steckte der Sattel tief in seinem Arsch.
Als er endlich zu Hause ankam, schob er das Bike in die Garage und stolperte ins Haus, ließ seine Kleidung auf den Boden fallen und schleppte sich mit wundem Hinterteil in die Dusche. Er konnte die Blasen an der Innenseite seiner Schenkel nicht sehen, spürte sie aber umso deutlicher, von den Hämorrhoiden ganz zu schweigen …
Lucas hingegen fühlte sich pudelwohl, besonders nachdem er die Star Tribune hereingeholt hatte. Wie von Ignace angekündigt, befand sich die Story auf der Titelseite: »Cop behauptet, Jones-Killer habe vermutlich mehr Mädchen auf dem Gewissen«. Wunderbar. Marcy würde einen Anfall bekommen, wenn sie das las, und die Kollegen in Minneapolis würden hoffentlich endlich anfangen, sich intensiver mit dem Fall zu befassen.
Eine Stunde später verließ er das Haus mit drei Namen und Adressen in seinem Notizbuch – die drei Frauen aus dem Massagesalon: Lucy Landry, Dorcas Ryan und Mary Ann Ang, die jetzt Morgan hieß. In den achtziger Jahren hatte er die ersten beiden allein befragt und die dritte mit Del. Jetzt hätte er sich weder an ihre Namen noch an ihr Aussehen erinnert, erkannte jedoch Dorcas Ryan, als sie die Fliegengittertür ihres Hauses in St. Paul Park öffnete.
»Ist eine ganze Weile her«, sagte sie, als er ihr seinen Namen nannte.
»Ja, allerdings«, pflichtete Lucas ihr bei.
Dorcas Ryans Haus wirkte abgewohnt und nicht sonderlich aufgeräumt, aber auch nicht unordentlicher als das seine, wenn er allein gelebt hätte, dachte Lucas. Wie die meisten Menschen stellte er sich vor, was aus alten Bekannten geworden war. Mehr als einmal hatte er beobachtet, wie sich frische Highschool-Mädchen mit zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahren in jämmerliche, koks- oder methamphetaminsüchtige Nutten verwandelten, denen ein schneller Tod vor dem dreißigsten Lebensjahr vorherbestimmt zu sein schien.
Dorcas Ryan hingegen erinnerte ihn eher an eine Schullehrerin oder Buchhalterin Ende vierzig, Anfang fünfzig, die auf sich achtete. Sie trug Jeans, eine adrette Bluse und Halbschuhe, bat ihn herein und bot ihm eine Cola an. Er winkte ab und setzte sich in einen Sessel, während sie auf dem Sofa Platz nahm.
»Wissen Sie noch, warum ich damals mit Ihnen geredet habe?«, fragte er.
»Klar. Wegen den Jones-Mädchen. Hat mich überrascht, dass sie ausgebuddelt wurden – Sie wahrscheinlich auch.«
»Allerdings«, sagte Lucas. »Erinnern Sie sich an den Typen, nach dem ich seinerzeit gesucht habe? Ein gewisser John Fell.«
»Natürlich. Der war wochenlang Thema Nummer eins bei uns. Aber er ist nie wieder aufgetaucht.«
Lucas nahm die Papiere aus seiner Aktentasche und reichte sie ihr. »Ich würde Sie bitten, sich ein paar Gesichter anzusehen und mir zu sagen, ob das von Fell dabei ist.«
»Okay … Hm, keine Fotos …« Sie ging die Phantombilder eines nach dem anderen durch. »Sie sehen sich alle ziemlich ähnlich …«
Lucas hatte ein Dutzend runde, breite Gesichter mit dunklen Haaren ausgewählt. Sie legte ein paar heraus, verglich sie, reichte eines Lucas. »Das hier
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