Zornesblind
Mal kommen, hoffe ich, dass Sie einen richterlichen Beschluss vorweisen können. Zumal ich mich mit meinem Anwalt beraten und juristische Schritte gegen Sie einleiten werde. Künftig ziehe ich andere Saiten auf, merken Sie sich das.«
Striker quittierte das Gesagte mit einem wegwerfenden Achselzucken. »Das bleibt Ihnen überlassen.«
Als Dr. Ostermann mit einer unmissverständlichen Geste auf die Tür zeigte, ließ Striker sich absichtlich Zeit. Er schaute sich ausgiebig in der Bibliothek um, ehe er langsam durch den Gang zur Haustür schlenderte. Im Foyer traf er auf Lexa Ostermann.
»Detective Striker«, meinte sie überrascht.
»Mrs. Ostermann.«
Sie blickte an sich hinunter. Sie trug einen leicht transparenten, grünen Seidenkimono – und errötete. Sie zeigte nach oben, zum Westflügel. »Sie müssen entschuldigen. Ich war auf dem Weg ins Bad und habe irrtümlich geglaubt, Sie wären Dalia …«
»Ich möchte nicht, dass du mit ihm sprichst.« Dr. Ostermann tauchte hinter den beiden auf.
Lexas Gesicht nahm einen verständnislosen Ausdruck an.
Striker ignorierte den Mediziner. Er nickte kurz zu Lexa, lief zur Haustür, wo er sich noch einmal zu den beiden umdrehte. Ostermann stand im Flur, sein Gesicht hart, seine Finger zu Fäusten verkrampft. Hinter ihm, auf der untersten Stufe, stand Lexa. Ihre Wangen rosig überhaucht, blitzten ihre tiefbraunen Augen unter den langen, blonden Locken, die ihr in die Schläfen fielen.
Gürtelrose? Um Strikers Mundwinkel zuckte es zynisch.
Es hätte nicht viel gefehlt, und er und Felicia wären bei dem Brand umgekommen. Er dachte spontan an die vor dem Fenster installierte Kamera, die ihren Todeskampf filmen sollte. Es machte ihn so wütend, dass er den Doktor am liebsten zu Kleinholz verarbeitet hätte. Stattdessen nötigte er sich ein spöttisches Grinsen ab. »Eine letzte Sache noch, Doktor … Ich weiß Bescheid über Ihre Videos.«
Ostermanns ärgerliche, arrogante Miene verlor sich, und er wurde blass.
Lexa sah ihren Mann groß an. »Was für Videos? Welche Videos meint er?«
Dr. Ostermann schwieg. Er streckte eine zittrige Hand aus und drückte die Türklinke hinunter. »Gute Nacht, Detective.«
»Für Sie wird sie das sicher nicht.« Der Detective drehte sich auf dem Absatz um und verschwand im Freien.
72
Die Natter saß auf dem kalten Estrich, sein Platz des Trostes, und versuchte, den Kopf frei zu bekommen. Plötzlich hörte er ein lautes, schabendes Knirschen, und die Falltür knallte auf. Hatte er etwa vergessen, den Riegel vorzuschieben? Verblüfft über das ungewohnte Geräusch zuckte er unbewusst zusammen und ließ die DVD – das kostbarste seiner kostenbaren Videos – in der Innentasche seiner Jacke verschwinden. Dann blickte er zur Treppe.
Der Doktor kam die Stufen herunter.
Das erstaunte die Natter, denn es kam nie jemand. Nie. Die ganzen zehn Jahre nicht. Dieser Raum war immer sein kleines Reich gewesen. Folglich fühlte er sich in seiner Ruhe gestört, belästigt.
Er rappelte sich auf und schnellte herum.
Der Doktor erreichte den Fuß der Leiter. »Du hast es gefilmt? Du hast es gefilmt, nicht? Du bist ein Schwachkopf, ein hirnloser Idiot!«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Lüg mich nicht an!«
Ein lautes, schmatzendes Klatschen.
Der Kopf der Natter flog nach links, und er wankte zurück, seine heiße Wange brannte. Sekundenlang stand er bloß da, mitten im Raum, und vernahm ein leises Summen. Er fühlte, wie eine Ohnmacht ihn überkam. Ihm wurde schwarz vor Augen, und er driftete ab. Hörte wieder die Stimmen, das hohe, schrille Lachen.
»Ich brauche mehr Freiraum«, hörte er seine eigene Stimme. »Ich verliere die Kontrolle.«
Der Doktor ignorierte ihn und schnappte sich die DVD -Box vom Boden. Mit einer schnellen Bewegung war sie einkassiert. Weg. Für immer.
Mit einem Mal bekam die Natter keine Luft mehr.
»Nein«, presste er mit erstickter Stimme hervor, seine Kehle staubtrocken.
»Ich werde die Videos entsorgen.«
»Nein, sie gehören mir! Mir! «
Die Natter zitterte am ganzen Körper, so heftig, dass der Raum vor seinen Augen zu trudeln begann.
Den Doktor kümmerte es nicht weiter. Er nahm die Videos und kletterte die Leiter hoch. Damit nahm er der Natter das Kostbarste im Leben. Alles, was die Natter liebte. Alles, was die Natter brauchte, um die Stimmen in seinem Kopf auszublenden und die grausige Realität dieser kalten Welt zu ertragen.
Die Luke fiel zu.
Dann war er wieder allein.
Allein mit den
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