Zornesblind
sicher nur vergessen.«
Ostermanns Mitarbeiterin ließ die Bemerkung unkommentiert. Sie zeigte auf eine Stuhlreihe an der rückwärtigen Wand. »Wie Sie wollen. Setzen Sie sich doch so lange. Ich sag dem Doktor Bescheid, dass Sie hier auf ihn warten.«
Nach einem Blick auf Ostermanns Büro durchquerte der Ermittler kurzerhand den Flur, drückte auf die Klinke und drückte die Tür auf.
»Sir! Sir! Detective!«, rief die Vorzimmerdame.
Striker stellte sich dumm. »Ja?«
»Raus da, bitte.«
»Oh, sorry. Ich dachte, wir sollen in seinem Büro warten.«
»Nein, Sie warten bitte draußen.«
Striker setzte sich neben Felicia, die sich halb den Nacken verrenkte und ihn angrinste.
»Klasse Taktik, Sherlock.«
Er erwiderte nichts darauf. Er saß neben ihr, atmete tief ein und roch Felicias Vanilleparfüm. Der Duft weckte Erinnerungen, schöne Erinnerungen, an die er jetzt nicht denken mochte. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, irgendwie in dieses Büro zu gelangen.
Nach ungefähr fünf Minuten erhob sich die Frau hinter ihrem Schreibtisch. »Ich bin gleich zurück«, verkündete sie und lief mit langen Schritten durch den Flur. Striker wartete, bis sie um die Ecke verschwunden war. Dann stand er auf.
»Was hast du vor?«, fragte Felicia.
»Überraschung«, griente er.
Er lehnte sich gegen die Wand und pfiff leise. In dem Patientenraum mopperte Henry leise weiter, dass Messer zu gefährlich seien. Er hörte das Pfeifen und sah zu Striker.
Dieses Mal sah Striker nicht weg. Stattdessen zwinkerte er dem Mann grinsend zu und flüsterte: »Schau mal, was ich habe.« Mit diesen Worten schob er seinen Mantel auseinander und enthüllte die Pistole im Holster. »Hab ich eingeschmuggelt.«
Henry entfuhr ein kehliges Keuchen. »So was dürfen Sie hier drin nicht haben!«
Striker drückte auf die Entriegelung und nahm das Magazin heraus. Er nahm eine Kugel heraus, setzte sie wieder ein, steckte das Magazin zurück. Dann blickte er zu Henry.
»Ich hab drei volle Magazine mit.«
»Die dürfen Sie hier nicht haben – die sind gefährlich!«
»Echt?«
»Das ist gegen die Regeln!«
»Ich hab mit den Regeln nichts am Hut.«
Henrys Miene verzerrte sich zur fratzenhaften Maske, und er begann, am ganzen Körper zu zittern. » DIE DÜRFEN SIE HIER NICHT HABEN – DAS IST GEFÄHRLICH !«, schrie er. Er trat aufgebracht gegen einen der Stühle. In diesem Moment kam die Vorzimmerdame zurück. Sie ließ japsend ihre Kaffeetasse fallen, als der Stuhl über den Linoleumboden schlitterte und in das Sicherheitsglas der Tür krachte.
»Henry, beruhigen Sie sich!«, befahl sie. »Nun beruhigen Sie sich doch wieder!«
» ER DARF SO WAS HIER DRIN NICHT HABEN! ER DARF NICHT! SO WAS IST VERDAMMT GEFÄHRLICH !«
Zwei Krankenpfleger ergriffen Henry und brachten ihn schleunigst in sein Zimmer, damit die anderen Patienten nicht auch noch aufmuckten.
Zu spät. Sie warfen ihre Karten hin und ihre Backgammonsteine. Das Fernsehen hatte seinen Reiz verloren. Striker wandte sich zu der Empfangsdame um.
»Das tut mir aufrichtig leid«, begann er. »Ich bin aufgestanden, um mich mal zu strecken, dabei hat er wahrscheinlich die Waffe gesehen. Und ist total ausgeflippt.« Er spähte in den Patientenbereich. »Herrje, die sehen so aus, als wären sie mächtig sauer auf uns.«
Die Frau blickte von der Kaffeepfütze am Boden zu den Patienten, die sie misstrauisch beäugten. »Vielleicht … vielleicht wäre es doch das Beste, wenn Sie drinnen auf ihn warten würden.«
Striker hob kapitulierend die Hände.
»Wie Sie meinen«, grinste er.
38
Die Empfangssekretärin ließ die beiden in Dr. Ostermanns Büro und schloss die Tür hinter ihnen. Kaum war sie weg, wirbelte Felicia zu Striker herum. Um ihre Mundwinkel zuckte es verräterisch.
»Das war ein verdammt mieser Trick«, meinte sie.
Striker quittierte es mit einem müden Achselzucken. »Ich weiß, bin auch nicht stolz darauf, aber was sollte ich machen? Wir mussten halt irgendwie hier rein, bevor Ostermann zurückkommt. Wir müssen herausbekommen, wer dieser Billy ist. So einfach ist das.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zehn vor elf. »Wann, sagte sie, endet seine Sitzung?«
»Um elf – wenn er nicht früher fertig ist.«
Striker zog skeptisch die Brauen hoch. Zehn Minuten war nicht lange. Er schaute sich im Zimmer um. Zu seiner Verblüffung war das Büro ziemlich kahl und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Er hatte erwartet, dass überall an den Wänden medizinische
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