Zornesblind
langen Gänge. Nachdem sie sich am Empfang ausgewiesen hatten, wurden Striker und Felicia durch eine Sicherheitsschleuse geführt und von einem Aufseher in den Ostflügel gebracht, wo Dr. Erich Ostermann sein Büro hatte.
Während sie lange, enge Flure durchquerten, kam bei Striker allmählich Irrenhausfeeling auf. Die Wände waren mindestens fünf Meter hoch, die Fenster schmale, vergitterte Schlitze, die kaum Tageslicht hereinließen und die Aussicht auf die Umgebung versperrten. Es war deprimierend.
»Verdammt, dieses Krankenhaus ist eine Zumutung!«, schimpfte Felicia.
Der Aufseher, ein bulliger kleiner Typ von Mitte fünfzig, ignorierte den Kommentar und lief wortlos weiter.
Das Büro von Dr. Ostermann befand sich in dem Knick eines L-förmigen Flurs. Daneben war eine Art Aufenthaltsraum, in dem mehrere Patienten in hellblauer Anstaltskleidung saßen.
Striker warf einen Blick in den Raum. Er war klein, lang gestreckt und verfügte, anders als die Flure, über Tageslicht, das durch zwei Fenster fiel, die auf die Berge hinausgingen. Einige Patienten spielten Backgammon. Andere lasen oder scharten sich um einen alten Röhrenfernseher, der in einer Ecke stand, und verfolgten eine Kochsendung.
Das Ganze erinnerte Striker irgendwie an ein Altenheim. Während sie auf Dr. Ostermann warteten, beobachtete Striker unauffällig die Patienten.
In einer Ecke spielten vier Leute Karten. Plötzlich sprang einer von ihnen auf, ein lang aufgeschossener, dünner blasser Typ, der sich offenbar tagelang nicht rasiert hatte, und brüllte: »Du verdammtes ARSCHLOCH !« Er riss sich das Hemd vom Leib und warf es auf den Boden.
Striker und Felicia wechselten einen langen Blick miteinander.
»Spielen die etwa Strippoker?«, raunte er ihr zu.
Einer der Pfleger erhob sich geschmeidig und rief: »Henry! Beruhig dich wieder. Hast du mich verstanden?«
Der Angesprochene schien unbeeindruckt. »Er hat ein Messer am Tisch!«, erregte er sich. »Ein Messer! Er darf kein Messer haben. Das ist gegen die Regeln, es ist GEFÄHRLICH !«
Der Pfleger blickte über den Tisch, auf dem ein paar Pappteller mit Vollkornmuffins und Butterwürfeln standen, daneben lagen Plastikmesser. »Ist schon okay, Henry. Alles im grünen Bereich. Er darf so eins haben. Es ist aus Plastik. Entspann dich wieder, Mann.«
»Es ist GEFÄHRLICH !«
»Komm, reg dich ab, sei ein braver Junge. Dann geb ich dir auch ein paar von deinen Lieblingssnacks, okay?«
»M&Ms?«
»Versprochen«, sagte der Aufseher.
»Mit Erdnüssen drin?«
»Geht klar.«
Henry funkelte den Pfleger an, schob trotzig sein Kinn vor und streifte sein Hemd wieder über. Er warf die Karten auf den Tisch, seine Augen wanderten zum Eingang des Raums, wo Striker mit Felicia stand. Er fing ihren Blick auf.
»Verdammt, was wollt ihr hier?«
Striker sagte nichts; Felicia packte ihn am Arm und zog ihn fort.
»Provozier ihn bloß nicht«, zischelte sie. »Er ist psychisch krank.«
Das hatte Striker auch gar nicht vor. Bevor er das klarstellen konnte, fragte eine Frauenstimme hinter ihnen: »Bitte, was kann ich für Sie tun?«
Die beiden Cops drehten sich um.
Sie standen in dem kleinen Empfangsbereich vor Dr. Ostermanns Büro. Hinter einem Schreibtisch saß eine Frau in weißer Krankenhauskleidung. Um die dreißig, die Haare zu einem strengen Knoten hochgesteckt, kein Make-up. Sie machte einen unnahbaren, reservierten Eindruck.
Während Henry im Hintergrund randalierte, trat Striker an ihren Schreibtisch. »Detectives Striker und Santos«, erklärte er. Er zeigte der Frau seinen Dienstausweis. »Wir müssen mit Dr. Ostermann sprechen.«
»Haben Sie einen Termin mit ihm?«, fragte sie ausdruckslos.
»Für die Irrenanstalt?«, fragte er zurück. »Nein, haben wir nicht.«
Die Miene der Dame gefror – ihre erste erkennbare Emotion. »Das heißt heute nicht mehr so«, korrigierte sie. »Sie befinden sich in einer psychiatrischen Einrichtung.« Daraufhin blätterte sie durch ihren Tischkalender und seufzte missmutig. »Herr Dr. Ostermann ist in einer Therapiesitzung, die noch zwanzig Minuten dauert. Bis elf. Und danach hat er mehrere Untersuchungen … bis zwölf. Ich fürchte, es wird heute nicht mehr klappen.«
»Doch, das klappt«, beharrte Striker. »Er weiß, dass wir kommen. Ich hab gestern mit ihm gesprochen.«
»Darüber hat er mich nicht informiert.«
Felicias Miene verdunkelte sich. Sie klappte den Mund auf und schloss ihn unverrichteter Dinge wieder.
Striker grinste. »Hat er
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