Zornesblind
Schmerz.
»Jemand muss an Billy Mercury dranbleiben«, erklärte er mit Nachdruck.
»Schon passiert«, erwiderte Laroche. »Ihr Infosystem hat gut gearbeitet. Billy Mercury wurde vorhin von zwei Streifenpolizisten aufgegriffen – vor nicht einmal zehn Minuten. Er ist in Sicherheitsverwahrung genommen worden.«
Striker überdachte das Zeitfenster. »Zehn Minuten, sagen Sie? Und wo ?«
Laroche nickte nach Norden. »Keine fünf Meilen von hier. Ecke Hastings und Kootenay. In der Nähe seiner Wohnung. Er lamentierte irgendwas von Dämonen und Höllenfeuern. Unsere Cops stellten ihn direkt an der Bushaltestelle.«
Striker überlegte und schwieg. Das Zeitfenster passte. Ebenso die Nähe des Zugriffsorts. Und das durchgeknallte Verhalten des Mannes.
»Er hatte seinen Laptop dabei, als sie ihn aufgriffen«, schob Laroche nach. »Da war alles drauf. Sämtliche MyShrine-Seiten sowie zig andere Chatrooms und Blogs – Twitter, MySpace und Linked-In.«
»Und?«, fragte Striker.
Laroche nickte. »Jede Menge Mist – über Dämonen, den Krieg im Mittleren Osten, Kritik an seiner Medikation. Und natürlich Drohungen, unter anderem die E-Mail, die er Ihnen geschickt hat. Der Mann ist hochgradig gefährlich. Er wurde ins Riverglen eingeliefert.«
»Riverglen«, wiederholte Striker. »Sie meinen zwangseingewiesen?«
»Ja.«
»Mit welcher Begründung?«
»Wir können ihn nicht belangen. Er wurde für unzurechnungsfähig erklärt«, führte Laroche weiter aus. »Von seinem Arzt.«
Striker schoss Felicia einen dunklen Blick zu. »Und wer ist dieser Arzt?«
»Dr. Ostermann, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Wieso?«
Striker fluchte. »Das ist absoluter Bullshit. Wir können Mercury wegen versuchten Mordes drankriegen und ihn einem unserer Polizeipsychologen vorführen.«
Laroche spähte unbehaglich zu den Kamerateams, die sich am Hermon Drive aufbauten. Es wurden immer mehr. Inzwischen waren es sechs Crews, und die Sache entwickelte sich zu einem Medienspektakel. Zweifellos waren sie wegen des Brandes gekommen. Irgendwann würde die eigentliche Geschichte jedoch durchsickern. Das war immer so. Nicht mehr lange, und sie würden das mit Billy aufschnappen, und es würde einschlagen wie eine Bombe.
Laroche schüttelte den Kopf. »Billy kann in keinster Weise belangt werden. Er hat sozusagen einen Persilschein.«
»Aber …«
»Kein Aber. Es wird nicht passieren, Striker.«
»Wieso nicht? Stellen Sie sich mal vor, wie das für die Medien aussehen wird? Der Mann hat versucht, uns umzubringen!«
Laroche zeigte keine Regung. »Gesetz hin, Rechtsprechung her, psychisch Kranke können strafrechtlich nicht belangt werden.«
Striker funkelte seinen Chef ärgerlich an; die Debatte um medizinische gegen kriminalistische Argumente ging in Kanada schon seit Jahrzehnten hin und her und würde wahrscheinlich nie enden. Es war ein schwarzes Loch im System, durch das Kriminelle rutschten und Strafverfahren damit obsolet wurden.
»Es ist nicht korrekt, und das wissen Sie.«
»Es ist die Realität «, versetzte Laroche. »Nehmen Sie es nicht persönlich.«
Striker hätte fast laut aufgelacht. Billy Mercury hatte vorhin versucht, sie umzubringen – und das sollte er nicht persönlich nehmen?
Er bekam kaum Luft. Seine Lunge schmerzte von dem heißen Rauch, die Brandblasen auf seinen Fingern taten höllisch weh. Er legte seine unversehrte Hand auf die Beifahrertür von Laroches Limousine und drückte das Rückgrat durch.
Vor seinen Augen drehte sich plötzlich alles, und er stützte sich mit der Hand auf dem Wagendach ab.
Das entging Laroche nicht, und seine Stimme wurde eine Spur sanfter. »Es ist vorbei, Striker. Mann, relaxen Sie.«
»Es ist nicht vorbei. Larisa ist irgendwo da draußen. Sie hatte mit Dr. Richter im Mapleview zu tun, genau wie Billy, Mandy und Sarah. Mandy und Sarah sind tot, und ich kann Larisa nicht finden …«
Der Inspektor wiegte nachdenklich den Kopf. »Das ist mir auch klar. Aber nachdem Mercury in der Psychiatrie ist, besteht für die Frau keine unmittelbare Gefahr mehr. Wir werden sie finden. Rechtzeitig.«
»Rechtzeitig?«
Laroche senkte seinen Blick in Strikers. »Ja. Wenn Sie wieder besser drauf sind. Und noch was: Lassen Sie Dr. Ostermann aus dem Spiel.«
»Wie bitte?«
»Sie wissen, dass er jedes Jahr große Summen an die Hilfsorganisation der Polizei spendet?«
»Das weiß ich sehr wohl.«
»Und dass er mit dem Bürgermeister befreundet ist?«
Striker biss die Kiefer aufeinander. »Das
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