zorneskalt: Thriller (German Edition)

weit fort. Ich konnte alles sehen: den Himmel, die endlose Fläche des Meeres, das mich anzog. Ich konnte die salzige Luft fast schmecken.
    Aber jetzt ist es Herbst. Das Licht wandelt sich, verlässt mich. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, kann ich nur die vier Wände meiner Zelle sehen, das weiß gestrichene Ziegelwerk, die Gitterstäbe, das Gefängnisbett und den Schreibtisch. Den Raum, in dem ich seit Monaten inhaftiert bin und auf meinen Prozess wegen versuchten Mordes warte.
    Ich bin hier, weil ich dich liebe.
    Ich bin eingesperrt, weil meine Liebe zu dir so stark ist, dass ich bereit war, dich zu verletzen, um dich zu retten.
    Manchmal muss man grausam sein, um seine Liebe zu zeigen.
    Hätten wir nur gelernt, uns zu hassen, einander zu meiden, alle Verbindungen zu kappen, wäre alles so viel einfacher gewesen. Aber unsere gegenseitige Anziehungskraft war immer zu stark, als dass wir ihr hätten widerstehen können. Wir haben eine unheilbare Schwäche füreinander, und unsere Bindung ist so eng.
    So eng, dass sie mein Verderben sein könnte.
    Weil du die Starzeugin der Anklage bist. Ihr Erfolg steht und fällt damit, was du aussagen wirst, wie überzeugend du sein wirst. Wie weit du bereit bist zu gehen, um mich zu verdammen. Sie müssen dir einen Deal angeboten haben: Retten Sie die eigene Haut, opfern Sie Ihre Freundin. Ohne dich haben sie nur Filmaufnahmen von einem kurzen Kampf. Ich sage, dass es Notwehr war. Du behauptest, ich hätte versucht, dich zu töten. Meine Wahrheit gegen deine. Die Polizei glaubt dir, aber du solltest dich fragen: Wem werden die Geschworenen glauben?
    Du hast versucht, mir einen von dir verübten Mord anzuhängen. Du hast mich als Stalkerin verfolgt, bei mir eingebrochen und mich zuletzt mit einem Messer bedroht. Das reicht, um selbst den gutgläubigsten Menschen aufzubringen.
    Natürlich erzählt die Polizei dir nicht, dass ihr Fall am seidenen Faden hängt. Sie ist auf deine Mithilfe angewiesen, Clara. Und sie denkt auch nicht daran, dich auf die Wucht des Kommenden vorzubereiten. Die Medien werden jede Sekunde des Prozesses ausschlachten, Fernsehkameras aus dem In- und Ausland (unsere Anziehungskraft ist global, habe ich gehört) werden jede deiner Bewegungen aufzeichnen, dein Mienenspiel studieren, deine Worte sezieren. Die besten Reporter von BBC , NNN , Sky News, CNN und ITN werden sich im Gerichtssaal drängen, um deine Aussage zu hören. Die übrigen Medienvertreter werden sie in einem anderen Saal per Videoübertragung verfolgen, um sie zerteilt und neu verpackt als Sensation zu vermarkten.
    Und dann kommt das Kreuzverhör. Mein Strafverteidiger wird dich in Stücke reißen, dich zermalmen und ausspucken. Das ist brutal. Ich habe das schon viele Male miterlebt. Es gleicht einer Hetzjagd. Und du bist keine zuverlässige Zeugin.
    Sie haben Ihre Mutter ermordet, und nun wollen Sie Ihre Schwester lebenslänglich hinter Gitter bringen. Was für ein Mensch sind Sie, Miss O’Connor?
    Ist es wahr, dass Sie als junge Erwachsene in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden mussten? Warum sollten wir jemandem wie Ihnen glauben?
    Übe deine Antworten sorgfältig ein, damit sie hoffentlich gut sind.
    Aber das Schlimmste kommt danach, Clara. Gerade wenn du denkst, es nicht mehr aushalten zu können, wenn du das Gefühl hast, dir sei die Seele aus dem Leib gerissen worden, und du vor den Männern mit Perücken, die deine Worte verdrehen, und der Polizei, die dich belogen hat, und den Mediengeiern, die dich verfolgen, weglaufen und dich verkriechen willst, fällen die Geschworenen das Urteil. Nicht schuldig. Ich werde den Gerichtssaal als freie Frau verlassen. Und Jake, der nie an mir gezweifelt hat, wird draußen auf mich warten. Und was steht dir bevor? Der Frau, die ihr eigenes Verschwinden vorgetäuscht und so grausam mit der Öffentlichkeit gespielt hat?
    Die öffentliche Empörung wird mit der Gewalt eines Vulkanausbruchs auf dich herabregnen. Sie wird grimmig wild, unbarmherzig, von Medienhysterie angefacht sein. Niemand wird dich vor ihr retten. Erst recht nicht die Polizei. Sie wird dich und diesen Fall, den sie nie vor Gericht hätte bringen sollen, möglichst schnell vergessen wollen. Sie wird so tun, als hätte es dich nie gegeb en. Du wirst die Verfolgung allein ertragen müssen.
    Du wirst nirgends ein Versteck finden.
    Du könntest überallhin reisen, Tausende von Meilen weit, und würdest ihr trotzdem nicht entkommen.
    Das erzähle ich dir, weil mir dein Wohl am