Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Heymann
Vom Netzwerk:
Beweis für die Existenz Gottes.«
    Ich sage mir, es könnte schlechter laufen, er könnte mich bespringen und nicht weiter in sein Leben einbeziehen. Wenn er Sachen machen will, die ich nicht mag, lächelt er und gibt mir zu verstehen, dass ich eine Belohnung bekommen werde. Also mache ich sie. Einmal hat er mir aus Mekka einen heiligen Koran mitgebracht, worum ich ihn gebeten hatte, den habe ich meiner Mutter geschickt. Sie war so glücklich.
    Ich bin jetzt Stammkundin bei der Kosmetikerin, sie macht mir regelmäßig eine fast komplette Epilation des Intimbereichs, ich kleide mich in den Boutiquen ein, die nach vorn zur Straße liegen, und einmal hat mir der Scheich sogar ein Schmuckstück von Dior geschenkt, derselben Marke wie mein Koffer. Wahnsinn, wie die Leute für diesen Dior schwärmen.
    Ich bin jetzt eine Geschäftsfrau, und mein Körper ist mein Büro. Ich bete immer weniger. Nicht nur aus Scham, vor allem aus Zeitmangel. Ich bin erstklassig geworden. Ich werde verlangt, ich werde gefeiert. Manchmal leiht mich der Scheich an seine hochkarätigen Freunde aus. Alle lachen gern, lachen über mich, wenn ich meine Arschbacken zusammenkneife. Ich verdiene mir einen Goldarsch. Ich lache auch gern.
    Für 3000 Dinar kann man auf mich draufpinkeln. Es passiert nicht oft, aber wenn der Scheich total high ist, pinkelt er gern auf mich drauf. Und hat seinen Spaß dabei.
    Ich bete jetzt gar nicht mehr. Ich habe beschlossen, nicht mehr an zu Gott glauben. Das ist einfacher. Früher wusste ich ungefähr, was ich Ihm zu sagen hatte, ich hielt mich an den roten Faden der Geschichte vom hilflosen jungen Mädchen, das zur Nutte wird, um zu überleben. Inzwischen bin ich aber Nutte, weil ich mehr haben will. Ich esse, wenn ich Hunger habe, aber ich will jeden Tag Fleisch und Raïbi in Kristallgläsern.
    Deshalb ziehe ich es vor, nicht mehr mit Ihm zu reden. Er hat mir zwar nie widersprochen, man sollte es aber nicht zu weit treiben … Ich weiß, dass ich im Unrecht bin. Niemand ist dazu gezwungen, auf sich draufpinkeln zu lassen. Man hat immer die Wahl, auf sich draufpinkeln zu lassen oder nicht.
    Irgendwann habe ich mir am Unterbauch eine Gürtelrose eingefangen. Das tat vielleicht weh, oh, mein Gott! Und die Behandlung hat fast 3500 Dinar gekostet. Ich habe den Scheich um Geld gebeten, um mich kurieren zu lassen, aber an dem Tag hatte er Drogen genommen. Und war genervt. Schlechter Laune. Total high eben. Er hat »Ja« gesagt, aber er wollte eine Gegenleistung. Etwas, an das ich nie im Leben gedacht hätte. Zu verrückt für mein kleines rundes Hirn. Er hatte sich gesagt »Warum nicht auch mal mit Kacke?« Und er hat es gemacht. Ich will nicht darüber reden.
    Jetzt wissen Sie alles.
    Ich schicke meiner Familie ständig Geld. Es sieht ganz so aus, als sei ich in Tafafilt von
haram
zur Heiligen aufgestiegen. Mein Vater verlangt nach mir. Mit dem Geld hat er sich einen Fernseher und eine Satellitenschüssel gekauft. Ich habe sie letzte Woche besucht, zum ersten Mal seit er mich rausgeworfen hat wegen meines Fehltritts. Oder meiner Schwangerschaft. Ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund genau.
    Ich habe ein großes Taxi genommen, ich habe meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, eine marineblaue
djellaba
übergezogen und bin nach Hause gefahren. Ich werde mich nicht darüber auslassen, was das in mir ausgelöst hat: eine Mischung aus Ekel und Melancholie. Ich glaube, am meisten haben mir meine Schafe gefehlt. Und die Stille auch. Mitten in der Wüste sehe ich nun eine Satellitenschüssel über unserem Zelt … ihrem Zelt, meine ich, es ist nicht mehr meins,
ich
stinke nicht mehr. Das ist erbärmlich. Ein Stromaggregat, um ägyptisches Fernsehen zu sehen und die Eskapaden von
Raimonda
. Meine Brüder und Schwestern kleben am Bildschirm, die Nasen voller Rotz und die Zähne voller Zahnstein. Das hat nichts mehr mit mir zu tun, das steht schon mal fest.
    Mein Vater hat für sich ein Rückenleiden erfunden, das ihn ans Bett fesselt.
    – Oh, mein Rücken, mein Gott, mein Rücken, wie der mich quält, ich habe Schmerzen, meine Tochter, ich habe Schmerzen, es ist unerträglich, manchmal könnte ich schreien, so stark ist der Schmerz. Wenn du wüsstest, meine Tochter …
    Genau das hat mein Vater zu mir gesagt, als er mich gesehen hat. Er hat sich beklagt, aber er hat »meine Tochter« zu mir gesagt. Ich habe Mitleid mit ihm. Ich finde ihn verachtenswert. Er ist mein Vater. Anis oder Anissa hätte diesen Großvater

Weitere Kostenlose Bücher