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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Heymann
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Mein Geschmack hat sich verfeinert, mein Gaumen hat sich an die guten Dinge gewöhnt. Ich trinke immer noch Raïbi Jamila aus dem kleinen Loch unten. Aber nicht vor dem Scheich.

Entschuldigung, Allah, dass ich Dich eben angepöbelt habe. Ich will nicht sein wie diese Leute, die Dir die Schuld für alles und jedes geben. Die Menschen hören nicht auf, das zu tun. Statt sich zu bewegen, warten sie darauf, dass Du dich bewegst. Irgendwann, als ich klein war, kam ein Arzt mit seinem Team aus der großen Stadt nach Tafafilt. Für meine kleine Schwester, die schielte, schlugen sie eine Augenuntersuchung und eine Korrektionsbrille vor. Das hätte im Ganzen vielleicht 100 Dinar gekostet. Nun gut, mein Vater hat es vorgezogen, sie zum
fkih
zu bringen. Gemeinsam haben sie dafür gebetet, dass sie wieder ein normales Sehvermögen erlangt.
Inch’ Allah
sagte er, der
fkih

    Aber er will, Allah, zum Kuckuck! Er will!
    Ich weiß, dass das ein großartiges Wort ist,
Inch’Allah
. Es ist wie ein kleiner zusätzlicher Hoffnungsschimmer, der macht, dass alles möglich wird, wie ein kleiner Tritt in den Hintern, der mich aufweckt, wenn ich die Hoffnung verliere, als ob Allah zu mir sagen wollte: »Ich habe Meine Entscheidung noch nicht getroffen, also steh auf und du wirst sehen.« Ich weiß, dass die endgültige Entscheidung Dir zusteht, Allah, aber ich muss den Berg bis ganz oben besteigen, auch wenn mir die Wolken die Sicht auf den Gipfel verstellen. Die Nichtstuer, die nehmen
Inch’Allah
wörtlich, weil ihnen die Vorstellung sehr entgegenkommt, dass Du es bist, der entscheidet. Dann war es, wenn es schiefgeht, eben Allah, der nicht wollte, dass es passiert. Dann war es eben Allahs Wille. Klar, dass nichts passiert, wenn der Arsch an die Matratze geschraubt ist, Vater.
Inch’Allah
wirst du dich eines Tages erheben, Vater!
    Inzwischen hat meine Schwester ein Auge verloren. Sie wird wahrscheinlich auch das zweite verlieren. Für mich ist das das Übel, Allah, sogar doppeltes Übel. Die Brille und die Medikamente waren in greifbarer Nähe, sie aber haben es vorgezogen, Dich zu bitten, sie zu verarzten, Dich! Sie zu heilen. Ich hasse sie dafür. Die Leute, die Dich zur Geisel nehmen, indem sie mit ihrer ganzen Kraft schreien, dass Du der Größte bist und dass sie Dich über alles lieben.
    Ich habe Lust, ihnen zu sagen: »Hört auf, um die Kaaba herumzulaufen, lauft lieber um die Welt herum. Lauft um die Anderen herum, lauft um euch selbst herum!«
    Entschuldigung, Allah, es ist wichtig, um die Kaaba herumzulaufen, aber Du bist doch auch der Meinung, dass es weniger wichtig ist als eine Menge anderer Dinge … Ich will jetzt nicht vergleichen, was sich nicht vergleichen lässt, aber wenn man ein Problem mit den Augen hat oder wenn man Krebs hat, bevor man da zur Kaaba geht oder zum
fkih
, muss man doch zum Arzt. Und das gilt für viele andere Dinge genauso. Alle Dinge des Lebens, übrigens.
    Ich hasse Schuldzuweisungen und erst recht solche, die man Dir unter dem Deckmantel, Du der Glorreiche, Du der Barmherzige, Du der Große unterschiebt. Niemals würde ich Dir die Schuld aufhalsen, Allah. Niemals. Ich liebe Dich, und nicht etwa, weil ich Dich fürchte. Weil ich Dich liebe, Punkt, das ist alles. Sonst ist es keine Liebe, sondern ein Vertrag. Ich liebe Dich. Ich weiß nicht, ob ich Dich fürchte. Ich weiß nicht, ob das wirklich wichtig ist, im Grunde. Die Liebe ist wichtiger. Du hast mich nie im Stich gelassen. Oder höchstens ein bisschen. Aber nur, damit ich meinen Weg ganz allein finde. Ich werde ihn suchen wie eine Große.
    Danke, Allah. Ich bin erschöpft, verzeih, es ist verworren.
    Ich bleibe nicht stehen. Ich behaupte nicht, dass ich mir den besten Weg ausgesucht habe, um nicht stehenzubleiben, aber ich bin glücklich zu sehen, dass ich nie an das Haar des Propheten in einer vergoldeten Dose glauben würde. Das ist kein ungeheurer Schritt, aber wenigstens ist es einer. Es ist mein Schritt.
    Ich bin wieder zurück in Masmara. Ich mache mich fertig. Ich wühle in meinem Dior-Koffer. Ich stolpere über mein Spiegelbild, wie schön ich heute Abend bin! Ich hatte allerdings auch ein hübsches kleines Gesichtchen als Grundlage. Danke, Allah, für das hübsche kleine Gesichtchen, von dem ich nichts wusste, als ich arm war.
    Die Männer sehen mich an. Sie sehen mir in die Augen, aber nicht nur. Wenn ich den Oberkörper zurückbiege, wird ihnen der Mund wässerig, wenn ich ihnen ein Zeichen gebe, schlucken sie, und wenn ich

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