Zorngebete
Gemälde ein wenig aufzuheitern.
Warum malt keiner eine arme Frau auf den Knien mit einem Schwanz im Mund und Geld in der Hand? Das ist meine Realität. Zumindest war sie das. Ich habe keine Lust mehr darauf, das zu machen, ich werde mich jetzt irgendwie anders durchschlagen. Ich habe Lust, Lesen zu lernen. Und Schreiben. Damit die Straßenschilder nicht mehr nur leere Formen sind, die Zeitung nicht mehr nur aus Fotos besteht und damit ich mir meinen Heiligen Koran, Allah, nicht immer nur erzählen lassen muss.
Ich gehe in die Küche mit all den übrigen Armen. Wie erwartet gibt es Couscous, obligatorisch am Freitag in den Moscheen. Ich bin immer noch ein bisschen hübsch, wenn ich den Mund halte, deshalb mache ich ihn kaum auf. Es gibt zwar niemanden hier, den man anbaggern könnte, aber einen Rest von Koketterie habe ich mir aus meiner Glanzzeit bewahrt. Der Geruch des Hammelfetts erinnert mich an Tafafilt. Mein Vater muss mich jetzt hassen. Kein Lebenszeichen mehr von mir seit drei Jahren, kein Cent mehr. Ich glaube, er hatte das Stromaggregat für seine Satellitenschüssel noch gar nicht abbezahlt. Umso besser. Das Arschhaar von dem
fkih
hat mir jedenfalls wirklich Pech gebracht. Ich hoffe, der Kerl ist tot.
Die Küchentür geht auf. Der Imam, von mehreren Männern umgeben. Das wirkt sehr feierlich. Ein bisschen so wie die Scheichs, wenn sie ihren Einzug in die Disco hielten. Alle Armen erheben sich. Der Mann, der das Gebet geleitet hat, begrüßt sie und sagt ihnen, dass alles gut wird, so Gott will. Da, schon wieder diese Schuldzuweisung an Dich. Denn es wird nicht besser bei uns, und wieder wird es Deine Schuld sein. Wie sehr ich das nicht mag! Wirklich, das regt mich auf. Ich finde, Du bist für mich dagewesen, der Rest ist mein eigenes Business. Ich habe glückliche und unglückliche Momente erlebt, ich sehe aber nicht, was Du mit dem einen oder dem anderen zu tun hast. Es sind
meine
Momente. Manchmal hast Du mir Orientierung gegeben und andere Male hast Du mich meine eigene Erfahrung machen lassen. Manchmal hast Du mich korrigiert und andere Male nicht. Und so habe ich gelernt. Aus meinen Leiden und aus meinen Freuden. Du, Du hast nichts damit zu tun. Du warst da, um mir zuzuhören, und das hast Du getan.
Wenn ich an Dich denke, ist mein erstes Gefühl eine unendliche Liebe. Weder Furcht. Noch Angst. Im Grunde genommen fürchte ich nur, Dich zu enttäuschen. Das ja, das macht mir Angst. Ich habe Dich schon enttäuscht, und ich werde es wahrscheinlich wieder tun. Ich werde aber versuchen, es weniger zu tun, ich werde versuchen, mich zu bessern, Allah. Mit Dir an meiner Seite habe ich den Eindruck, weniger allein zu sein. Und für ein Mädchen wie mich ist das enorm wichtig. Ich weiß, dass ich manchmal den schlechten Weg gewählt habe. Aber noch einmal, ich habe mir damit selbst geschadet. Niemals habe ich Dich beleidigt oder verhöhnt. Also bin ich gelassen. Liebe aus Furcht, die ist nichts wert. Die Männer lieben Dich, weil sie Dich fürchten, sie benehmen sich anständig, weil sie Angst vor der Hölle haben. Ich aber liebe Dich, weil ich glücklich bin, Dich zu lieben. Und weil es mich beruhigt, wenn ich dunkle Momente habe. Und ich habe oft dunkle Momente. Innerlich, meine ich.
Der Imam sieht mich an. Ich schlage die Augen nieder. Er spricht einen Segen von der Art:
– Ihr esst das Brot Gottes in seinem Haus. Er wird euch die Pforten des Paradieses öffnen, ihr aber, verliert euch nicht in den Gefilden der Sünde …
Na ja, irgendsowas. Während er spricht, sieht er mich weiter an. Mich. Er hat einen langen hennagefärbten Bart, ein hängendes Oberlid und eine Kinnlade wie eine Registrierkasse. Er muss 60 Jahre alt sein. Mehr oder weniger. Der Bart verdeckt alles. Egal, ich würde gern mein Couscous aufessen, es wird sonst kalt.
Mit dem Brot wische ich die Soße vom Teller. Wir Armen essen Brot zu allem, selbst zu Kartoffeln und selbst zu Bananen. Ich würde mir gern noch ein Stück nehmen, aber ich traue mich nicht zu fragen. Offenbar bin ich noch nicht arm genug, um mich zu trauen. Eine Frau kommt auf mich zu und fragt nach meinem Namen. Alles geht sehr schnell, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich sage Khadija. Jbara ist hässlich. Scheherazade klingt nach Nutte, Khadija, das war die Frau des Propheten, Friede seiner Seele. Das ist gut. Khadija heiße ich. Es hat mir noch nie an Ideen gefehlt, um dem Elend die Stirn zu bieten. Niemals würde ich zulassen, dass es die Oberhand gewinnt,
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