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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Heymann
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niederwerfen und die Lippen bewegen.
    Es ist geschafft, ich bin da, ich spreche mein Gebet inmitten dieser frommen Frauen, die nicht all das machen, was ich mache. Obwohl ich natürlich nichts weiß über sie, vielleicht ist doch eine Hure darunter, wie ich, die gerade ihr Gebet gesprochen hat, vielleicht sogar die Alte da hinten in der Ecke. Vielleicht waren sie allesamt irgendwann Nutten und kommen jetzt her, um Dich um Verzeihung zu bitten. Was ist dieses Tuch schon für eine Garantie? Gar keine. Warum soll ich die einzige sein?
    Ich dachte, es wäre schwierig. Tatsächlich steuert die Erinnerung meines Körpers mein Gebet. Mein Körper ist beschmutzt worden, nicht aber seine Erinnerung, das ist eine gute Nachricht. Ich finde ein bisschen von Tafafilt wieder, als ich noch hinter meiner kleinen Mama und ihrem stinkenden Kochgeschirr betete und Dich darum bat, dass in meinem Leben irgendetwas passieren möge. Alles kommt ganz natürlich zurück, als gehörten sie zu meinem genetischen Code, diese in meinen ersten sechzehn Lebensjahren unermüdlich aufgesagten Gebete. Als würden sie mich, meinen bösen Taten zum Trotz, für alle Ewigkeit mit Dir verbinden. Als könnte mich nichts von Dir trennen, Allah, nicht einmal mein früheres Gewerbe. Das gar nicht mal so lange her ist, muss ich sagen.
    Ich neige mich zu Boden, gleichzeitig mit den anderen, richte mich wieder auf, knie nieder, spreche im richtigen Rhythmus, niemand würde glauben, dass … Ich bin genau wie sie in diesem Augenblick, und manchmal ist es angenehm, wie alle zu sein. Auf jeden Fall ist es erholsam.
    Wir haben das Gebet beendet. Es tut gut, »wir« zu sagen. Der Imam beginnt mit seiner Predigt, ich habe Kohldampf. Heute spricht er über die Frauen und ihre Pflichten gegenüber den Gatten, Brüdern, Söhnen, Cousins, Neffen, Vätern, Großvätern, Urgroßvätern, Enkeln, Urenkeln, Schwägern, Schwiegersöhnen, entfernten Cousins, Cousins dritten Grades etc. Aber immerhin unterstreicht er, dass die Kinder, also auch die Männer, ohne den Segen der Mutter niemals das Glück auf Erden kennenlernen und schon gar nicht das himmlische Paradies. Uff, ich hatte schon befürchtet, dass man gar nichts zurückbekäme. Nur Mutter muss man sein … Und ich bin nichts als eine Frau … Schnell, vergessen.
    – Sagt euren Frauen, sie sollen sich mit einem Schleier bis auf die Brust verhüllen …
    Woher kommt eigentlich diese Manie mit den Haaren? Und weshalb, Allah, wendest Du dich nicht direkt an mich, warum sagst Du »sagt euren Frauen«? Warum sagst Du mir nicht »um eine gute Frau zu sein, musst du dich schicklich kleiden«? Ich mag es, wenn man mich direkt anspricht. Wozu brauchen wir Frauen einen Vermittler, jemanden, der uns sagt, wie wir uns anzuziehen, zu verhalten und zu entwickeln haben?
    – Die tugendhaften Frauen sind gehorsam und unterwürfig ihren Männern gegenüber …
    Allah, jetzt lächelst Du, nicht wahr? Ich weiß. Ich lächle auch. Es gibt da eine Sache, die nicht aufgeht, eine Sache, die ich gar nicht zu denken wage, eine Sache, die allen Mannsbildern der Erde sehr gelegen kommt, die mir aber nicht passt, mir als Frau. Gehorsam und unterwürfig. Nur Dir gegenüber. Einzig und allein.
    Ich sehe mich um, hoffe, noch mehr Lächeln zu sehen oder Flunsche oder Stirnrunzeln, aber nein. Keine der Frauen lächelt oder runzelt die Stirn. Vielleicht haben sie nicht richtig zugehört. Bestimmt denken sie an ihre Einkäufe oder an ihre Kinder, die schon lange kein Fleisch mehr gegessen haben. Das muss es sein. Es gibt keine andere Erklärung.
    Verdammt, habe ich einen Hunger!
    Natürlich weiß ich, dass die Männer Angst vor den Frauen haben, deshalb verschleiern sie sie. Um sie nicht zu sehen. Um sie sich nur vorzustellen. Sie sich zu phantasieren. Sie zu malen. Oh ja, das allerdings, die Männer lieben es, uns zu malen. Uns darzustellen. Aber nicht, uns zu sehen, wie wir sind.
    In der Villa des Scheichs in Masmara hingen viele Gemälde an der Wand, und sie stellten immer dasselbe dar: hingegossene Frauen, Faulenzerinnen, häufig entblößt, Schlampen, in lasziven Posen, Transusen, und natürlich mit Schlafzimmerblick – Nutten. In den Geschäften von Masmara waren meine Kunden aus Fronkreich ebenfalls hingerissen von diesen Bildern. Verbissen handelten sie den Preis herunter, um eins davon mit nach Hause nehmen zu können, in ihr Zwei-Zimmer-mit-Küche-Appartment in einer grauen Vorstadt, und es mit der schönen, leicht verruchten Araberin auf dem

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