Zu cool für dich
dreißig Grad und irgendwo links von mir sang ein Männerquartett
My Old Kentucky Home
. Man musste der Wahrheit ins Auge sehen: Wir waren in der Höl le .
»Nein danke«, sagte ich. Zum wiederholten Mal. Seit zwei Wochen machte Lissa ihren neuen Promotion-Job für einen koffeinhaltigen Fitnessdrink und konnte sich immer noch nicht damit abfinden, dass mir das Zeug nicht schmeckte. Und ich war nicht die Einzige.
»Es ... es ... ist ein bisschen wie ... sehr sprudelige Limonade«, lautete Chloes vorsichtiges Urteil, während sie einen winzigen Schluck
KaBoom
nahm und wie bei einer Weinprobe nachschmeckte. »Mit einem seltsamen Nachgeschmack. Wie billige Cola.«
»Und was hältst du jetzt davon?« Lissa goss mehr von dem Zeug in die Plastikbecher, die fein säuberlich aufgereiht auf dem Klapptisch vor ihr standen.
»Was ich davon halte ...« Chloe schluckte und verzog das Gesicht. »Wi-der-lich!«
»Chloe!«, zischte Lissa und sah sich rasch um. »Was soll das?«
»Ich hab dir doch schon gesagt, dass es scheiße schmeckt«, sagte ich, aber sie beachtete mich gar nicht, sondern stapelte
KaBoom
-Werbeartikel auf dem Tisch: Frisbee-Scheiben, T-Shirts , Plastikgläser, alles mit dem gleichen Logo, einer spiralförmigen gelben Sonne, geschmückt. »Und das weißt du auch, Lissa. Du trinkst das Zeug nicht mal selbst.«
»Ist gar nicht wahr.« Sie rückte ihr Namensschild zurecht. Darauf stand: Hi, ich heiße Lissa – Lust auf
KaBoom
? Ich hatte sie zwar diskret darauf hingewiesen, dass man die Frage auch noch anders verstehen konnte als als Aufforderung, eine neue Getränkemarke zu probieren. Aber sie winkte bloß ab, völlig durchdrungen von ihrer Mission, die frohe Botschaft von
KaBoom
unter den Menschen zu verbreiten. »Ich trinke das Zeug wie Wasser. Es schmeckt super.«
Hinter uns ging eine vierköpfige Familie vorbei, schwer bepackt mit all den Werbeartikeln, die man geschenkt bekam, wenn man die Große Toyota-Sonderausstellung von
Don Davis Automobile
besuchte. Aber am
KaBoom -Tisch
herrschte nicht gerade Riesenandrang, obwohl Lissa und ihr Kollege P. J. jede Menge Gratiskrempel zu verteilen hatten.
»Luftballons! Wer möchte einen
KaBoom
-Luftbal lon ?«, rief Lissa den Leuten auf dem Parkplatz zu. »Oder Frisbees! Alles umsonst!« Sie ließ eine Frisbeescheibe über den Parkplatz sausen. Sie segelte ein ganzes Stück, dann fing sie an zu trudeln und landete mit Karacho auf dem Asphalt, wobei sie einen von Dons nagelneuen Geländewagen nur um Haaresbreite verfehlte. Don, der vor einer Reihe Camrys stand und auf ein paar Kunden einredete, warf uns einen scharfen Blick zu.
»Tut mir Leid!« Lissa legte erschrocken eine Hand auf den Mund.
»Immer langsam, Baby«, sagte P. J. zu ihr, nahm einen der Plastikbecher und kippte das Zeug in einem Zug runter. »Ist ja noch früh am Tag.«
Lissa errötete und lächelte ihn verlegen an. Mir wurde klar, dass Chloe mit ihrem Verdacht Recht hatte: Lissa hegte zarte Gefühle für P. J. – es hatte
KaBoom
gemacht!
Die Vorbereitungen für die Große Toyota-Sonderausstellung von
Don Davis Automobile
waren seit Wochen auf Hochtouren gelaufen. Eine der größten Verkaufsaktionen des Jahres, mit Wahrsagern und Softeis-Ständen; sogar ein erschöpft wirkendes Pony trottete im Kreis um die diversen Toyota-Modelle herum. Und im Schatten vor dem Ausstellungsraum war die ortsansässige Bestsellerautorin Barbara Starr zu bewundern.
Normalerweise gab meine Mutter keine Autogrammstunden, außer natürlich bei der Neuerscheinung eines ihrer Bücher. Und eigentlich war sie mit ihrem aktuellen Manuskript gerade an einem Punkt angelangt, wo sie kaum noch ihr Arbeitszimmer verließ, geschweige denn das Haus. Chris und ich kannten ihren Arbeitsrhythmus seit Jahren und wussten genau, wann wir still sein mussten, weil sie schlief (auch wenn es mitten am Tag war), und dass wir ihr besser aus dem Weg gingen, wenn sie vor sich hin murmelnd die Küche durchquerte. Wir kannten auch das Zeichen dafür, dass sie endlich, endgültig fertig war: wenn sie die Walze der Schreibmaschine ein allerletztes Mal nach links geschoben, zwei Mal in die Hände geklatscht und einen dramatisch lauten Stoßseufzer von sich gegeben hatte: »Vielen Dank!«Ihre Art von Gebet am Ende eines langen Schreibprozesses. Mehr Religion war bei meiner Mutter nicht drin.
Aber all das ging nicht in Dons Schädel. Zum einen respektierte er die Bedeutung des Perlenvorhangs nicht. Ohne zu zögern
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