Zu cool für dich
meinte meine Mutter, als ich sie darauf ansprach. »Er liebt sie.«
»Er ist ein Arschloch.«
Sie bestätigte zögernd. »Es war wirklich eine ganz ungute Situation.« Sie wirkte so gefasst. Oder stand sie bloß unter Schock? »Am Ende steht und fällt alles im Leben mit dem richtigen Timing«, fügte sie hinzu.
Darüber dachte ich nach, während ich die Steaks auf einen Teller legte und zu unserem schicken neuen High-Tech-Grill hinausging. Nachdem ich eine Viertelstunde lang vergeblich versucht hatte ihn in Gang zu kriegen, beschloss ich, dass mir meine Augenbrauen unversengt lieber waren. Ich zerrte also unseren alten Grill hinter einem Stapel Gartenstühle hervor. Schmiss Holzkohle rein, fügte Brennpaste hinzu – und schon konnte es losgehen.
Während ich in der glühenden Kohle rumstocherte, fiel mir Dexter ein. Erst war er nur ein loses Ende gewesen, aber jetzt hatte er sich in einen echten Strick verwandelt,der unkontrolliert rumbaumelte. Und wenn man nur einmal kräftig genug zog, fiel alles auseinander. Am besten verbuchte ich ihn gleich als eine weitere Horrorstory über einen weiteren Exfreund in meiner Trennungsbilanz. Womit er genau da landete, wo ich ihn sowieso die ganze Zeit hatte haben wollen.
Als Chris und Jennifer Anne vorfuhren, stand ich gerade in der Küche und bereitete eine Platte mit Chips und Dips vor. Hand in Hand kamen die beiden über den Rasen, bepackt mit Jennifer Annes unvermeidlicher Tupperware. Ich konnte schlecht einschätzen, wie Jennifer Anne, die meine zynischen Bemerkungen über die Ehegewohnheiten meiner Mutter so überaus schockiert hatten, auf die Familien-News reagieren würde. Chris dagegen würde wahrscheinlich sofort den Beschützer für Mom spielen und sich insgeheim diebisch freuen, dass er das Brot in Zukunft wieder für sich allein hatte.
Lachend kamen sie durch die Haustür. Sie wirkten regelrecht aufgekratzt. Jennifer Anne wirkte so entspannt, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte; als hätte sie sich eben erst eine doppelte Dosis Bestätigung aus einem ihrer Selbsthilfebücher gegönnt. Chris schien ebenfalls ziemlich glücklich – bis er den leeren Fleck auf der Wand überm Küchentisch bemerkte.
Ihm blieb prompt der Mund offen stehen. Jennifer Anne dagegen, die neben ihm stand, lächelte noch. »Was ist passiert?«, fragte Chris.
Ich wollte gerade anfangen zu antworten: »Tja, also ...«
Da rief Jennifer Anne dazwischen: »Wir haben uns verlobt.« Sie streckte mir ihre linke Hand entgegen.
»... Don hat eine Geliebte und ist zu ihr gezogen«, beendete ich meinen Satz.
Einen Augenblick lang herrschte Totenstille. Jennifer Anne versuchte zu begreifen, was ich gesagt hatte. Und gleichzeitig hörte auch ich erst jetzt, quasi nachdem ich zurückgespult hatte, was sie gesagt hatte. Wir platzten unisono heraus: »Was?«
»Das gibt’s nicht«, stöhnte Chris und taumelte rücklings gegen den Kühlschrank.
»Ihr habt euch verlobt?«, fragte ich.
»Das ist ja ...« Jennifer Anne schlug die Hände vors Gesicht. Und ich sah den Ring an ihrem Finger: einen ziemlich opulenten Diamanten, der aufblitzte, als sich das Licht der Lampe in ihm brach.
»Was für eine wunderbare Neuigkeit!« Ich wandte mich um. Meine Mutter war reingekommen und lächel te uns trotz ihrer verweinten Augen tapfer an. »Wie schön! Das ist wirklich großartig.«
Es ist bezeichnend für meine Mutter, dass sie in der Lage war, so zu reagieren – keine zwei Stunden, nachdem ihre fünfte Ehe in einem schmutzigen Schwall von Verrat, Betrug, Täuschung und leeren Getränkedosen untergegangen war. Sie glaubte eben mit ganzem Herzen an die Liebe, nicht nur in ihren Geschichten, sondern auch im Leben. Sie durchquerte den Raum, zog Jennifer an sich, umarmte sie fest. Und während ich sie dabei beobachtete, überkam mich ein Gefühl der Zuneigung und Anerkennung für sie, das ich noch drei Monate zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Meine Mutter war in allen Punkten stark, in denen ich schwach war. Sie fiel, tat sich weh, fühlte. Sie lebte. Und trotz des ewigen Auf und Ab, trotz ihrer so unterschiedlichen Erfahrungengab sie die Hoffnung nie auf. Vielleicht ging es beim nächsten Mal ja gut aus. Vielleicht auch nicht. Aber wenn man sich auf das Spiel gar nicht erst einließ, würde man es nie erfahren.
Wir saßen im Garten und aßen von Papptellern. Meine Mutter steuerte bei: brasilianische Steaks, importierten Artischockensalat und ofenfrisches italienisches Brot.
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