Zu cool für dich
...«
Sie streckte die Hand aus und zog mich auf den Stuhl zurück. »Ich denke ...«, fing sie an. Hielt inne. Atmete tief durch und fuhr fort: »Ich denke, es ist allmählich an der Zeit, dass ich so was allein hinkriege.«
»Oh«, sagte ich. Seltsam, aber im allerersten Moment war ich fast ein wenig gekränkt. »Ich dachte doch nur, dass ...«
Sie lächelte herzzerreißend und tätschelte meine Hand. »Ich weiß. Aber du hast dich oft genug um alles gekümmert, findest du nicht?«
Ich saß nur da und sah sie an. Genau das hatte ich immer gewollt: die offizielle Entlassung. Den Moment, in dem ich endlich freigelassen wurde. Aber es fühlte sich nicht so an, wie ich erwartet hatte. Anstatt zu triumphieren kam ich mir sonderbar allein vor. Plötzlich schien alles wie auf einen Schlag verschwunden und ich blieb mit nichts zurück als meinem eigenen Herzschlag. Es machte mir Angst.
Als ob sie mir die Angst angesehen hätte, meinte siesanft: »Remy, alles wird gut. Es wird Zeit, dass du dich zur Abwechslung um dich selbst kümmerst. Ich schaffe das schon.«
»Und warum gerade jetzt?«, fragte ich.
»Weil es gut ist so«, antwortete sie. »Spürst du es nicht auch? Es fühlt sich einfach richtig an.«
Spürte ich es? Es schien so verworren, und zwar alles auf einmal. Doch dann sah ich plötzlich etwas vor mir: den ganzen weiten Kontinent, der meine Mutter und mich voneinander trennte. Nicht nur wegen der vielen Meilen, die bald zwischen uns liegen würden, sondern auch wegen unserer unterschiedlichen Ansichten. Die Entfernung war einfach zu groß, als dass man sie durch einen Blick oder eine Berührung hätte überwinden kön nen . Meine Mutter war am Boden, aber noch nicht ausgezählt. Und möglicherweise hatte ich ihretwegen nicht die Kindheit gehabt, die mir meiner Meinung nach zugestanden hätte. Aber es war nicht zu spät. Noch konnte sie mir etwas zurückgeben als Entschädigung. Ein fairer Deal: vergangene Jahre im Austausch gegen zukünftige. Geben und nehmen.
Doch jetzt rutschte ich erst mal dichter an sie ran, bis wir uns berührten. Knie an Knie, Arm an Arm, Stirn an Stirn. Ausnahmsweise lehnte ich mich an meine Mutter an statt auf Abstand zu gehen. Und ich genoss die Anziehung, die ich dabei spürte. Sie war wie ein Magnet, der uns miteinander verband. Ich wusste, dieses Gefühl würde bleiben, egal wie viele Meilen zwischen uns lagen. Ein intensives Gespür dafür, was uns miteinander verband, Gutes wie Schlechtes. Das uns bis an diesen Punkt gebracht hatte, an dem meine eigene Geschichte begann.
Kapitel Sechzehn
I n der folgenden Stunde – bevor Chris und Jennifer Anne zum Abendessen auftauchten – sammelte ich die Dosen ein, die in Haus und Garten verstreut waren, und schmiss sie mit einem befriedigenden Plonk! in den Müll. Meine Mutter duschte; sie bestand darauf, dass wir trotz allem unseren Familienabend durchzogen.
Von manchen Angewohnheiten trennt man sich nur schwer, dachte ich, als ich die fette nackte Frau von der Küchenwand nahm und hinter den Kühlschrank schob. Dabei tat ich wirklich mein Bestes, um mich an meine neue Rolle als eine, die sich raushielt, zu gewöhnen.
Meine Mutter hatte mir noch sämtliche gruseligen Einzelheiten erzählt. Offenbar lief zwischen Patty und Don schon lange was; es reichte bis in die Zeit zurück, als meine Mutter und Don sich noch nicht mal kannten. Patty war damals selbst verheiratet gewesen. Die Affäre zwischen Don und ihr bestand aus einer ganzen Serie von Trennungen, Versöhnungen, Ultimaten, Rückziehern. Bis Don schließlich beschloss sich anderweitig umzusehen, weil sie es offensichtlich nicht ernst genug mit ihm meinte, um ihren Mann seinetwegen endgültig zu verlassen. Dons Hochzeit war für Patty der Auslöser, sich doch endgültig von ihrem Mann zu trennen.Und obwohl Don und Patty versucht hatten die Finger voneinander zu lassen, konnten sie, wie Don sich ausdrückte, nicht »gegen ihre Gefühle ankämpfen«. Als meine Mutter seine Worte wiederholte, verzog sie gequält das Gesicht. Und mir zog sich auch alles zusammen. Patty hatte schließlich die Nase voll, wollte nicht länger warten und schickte meiner Mutter kurzerhand das Foto. Don leugnete das Ganze keine Sekunde lang, sondern hatte bloß tief geseufzt und war ins Schlafzimmer gegangen, um zu packen. So ein Loser! Was war das überhaupt für ein Autohändler, der nicht mal den Versuch machte, sich aus einer misslichen Situation rauszureden?
»Das konnte er nicht«,
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