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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Tante und zu Audrey.«
    »Ich fände es schöner, wenn sie bei uns sein könnten – wie früher.«
    »Im Augenblick ist es schwer für sie, zu reisen. So ist das, wenn man älter wird. Würdest du nicht gern Tantchen besuchen und vor allem Audrey?«
    »Ja, schon. Aber ich werde dich vermissen, Mama, und auch Madame Lucy.«
    Madame Lucy, das wusste Hayden inzwischen, war Charlottes Puppe.
    »Madame Lucy könnte ja auch mit dir verreisen, wenn du magst.«
    »Aber sie hat Angst vor der Fahrt, Mama«, antwortete die Kleine leise. »Die Jakobiner …«
    Nach dem Abendessen ging Hayden ein wenig in den Garten. Selbst die paar Schritte riefen ein Zittern in ihm hervor. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Aber er wollte alles daransetzen, so schnell wie möglich wieder zu Kräften zu kommen. Da er sich als Capitaine Mercier vorgestellt hatte, ahnte er, dass er nicht lange auf französischem Boden bleiben durfte. Schon in ein paar Tagen könnte er entdeckt werden. Hätte er gewusst, dass er so lange von Schwäche geplagt würde, hätte er sich nicht so schnell als Franzose ausgegeben.
    Eine Bedienstete trat hinaus in den Garten und servierte Hayden Kaffee. Er sah, wie zwei Tassen auf das Tischchen gestellt wurden. Einen Moment später tauchte Madame Adair auf und zog ein Tuch enger um ihre Schultern.
    »Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten, Capitaine ?«
    »Ist mir ein Vergnügen.« Er erhob sich steif und rückte ihr einen Stuhl zurecht.
    Sie schenkte sich und ihm Kaffee ein, wobei sie ihr Schultertuch anmutig festhielt.
    Die Sonne hing tief im Westen, verlängerte die Schatten der Bäume und Zaunpfähle und tauchte dieses Fleckchen der Bretagne in ein weiches, honigfarbenes Licht. Den ganzen Tag über hatte der Wind aus Nordost geweht, aber inzwischen war nur ein Brise übrig geblieben, ehe der Wind ganz nachließ. Eine Weile schwiegen sie beide, und Hayden hatte nicht den Eindruck, dass Worte nötig waren – Madame Adair zählte offenbar zu den Menschen, die längeres Schweigen nicht als unbehaglich empfanden.
    Sie nippte an ihrem Kaffee, genoss den Blick über die Felder und schien sich von ihrem Tagewerk auszuruhen, wie Hayden vermutete. Ein Gut von dieser Größe bedurfte ständiger Aufsicht, und diese Last trug Madame Adair auf ihren Schultern, führte obendrein den Haushalt und zog ihre kleine Tochter groß.
    »Der Doktor sagte, Sie können in einer Woche reisen«, sprach sie in die Stille des frühen Abends.
    »Ja, und dann falle ich Ihnen nicht mehr zur Last.«
    »Sie waren keine Last für uns. Ich habe das gern getan. Charlotte hat sich wirklich gefreut, Sie hier zu haben. Sie hätte Sie von morgens bis abends belagert, wenn ich es zugelassen hätte.«
    »Charlotte darf mich immer belagern. Sie ist ein Schatz.«
    »Ihr fehlt der Vater …« Sie zögerte und sagte dann leise: »Seit Längerem.«
    »Sie hat mir erzählt, dass ihr Vater vor den Jakobinern geflohen ist.«
    »Ich habe ihr eingeschärft, nicht darüber zu sprechen …« Rasch sah sie in Haydens Richtung, richtiggehend erschrocken.
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Was im Augenblick in Paris geschieht, ist das größte Verbrechen in der Geschichte unserer Nation. Aus meiner Familie lebt keiner mehr – und seither schlafe ich nicht mehr gut.«
    »Mein Beileid, Monsieur «, flüsterte sie und suchte kurz seinen Blick.
    »Werden Sie die Kleine wegschicken? Müssen Sie das tun?«
    »Es wäre besser – sicherer.«
    »Aber selbst Robespierre würde keinem Kind etwas zuleide tun …?«
    Sie zuckte mit den Schultern und presste die Lippen aufeinander. »Ich habe Angst, dass sie mit ansehen muss, wie ihre Mutter abgeholt wird. Kein Kind sollte so etwas sehen.«
    Diese Worte erfüllten ihn mit Entsetzen. Jeden Tag wurden Frauen – Mütter – zur Guillotine geschleppt, oft nur aus dem einfachen Grund, weil sie den Idealen der Revolution mit zu wenig Eifer begegneten. In diesem Augenblick wurde Hayden bewusst, dass selbst er nicht gefeit war gegen diesen Irrsinn. Lacrosse hatte ihn gewarnt, dass man ihn für einen Royalisten halten könnte, der in der britischen Navy diente. Und jetzt behauptete er, ein französischer Capitaine zu sein. Was ihn da geritten hatte, vermochte er auch nicht zu sagen. Gewiss hatte sein Geist nicht richtig gearbeitet, denn sonst wäre er nicht so töricht gewesen.
    »Nein«, erwiderte er leise. »Das sollte wahrlich kein Kind erleben.«
    »Haben Sie Kinder, Capitaine Mercier?«
    »Nein, Madame, ich bin nicht verheiratet.«
    »Das

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