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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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»Gott stehe uns bei!«, murmelte sie. »Kommen sie auch zu uns? Sprich!«
    »Ich – ich weiß es nicht. Ich g-glaube, sie kommen hierher.«
    »Aber du weißt es nicht sicher?«
    Die Frau – eine Bedienstete, der Kleidung nach – schüttelte den Kopf und senkte den Blick.
    Madame Adair hatte Mühe, zu atmen. Erst da bemerkte sie Hayden am Fuße der Treppe.
    »Die Jakobiner, Capitaine Mercier – sie haben meine Nachbarin abgeholt, Madame Genot. Ihr Mann ist mit Monsieur Adair geflohen.«
    »Sie müssen hier weg, Madame!«, drängte er.
    »Fliehen? Wohin denn? Niemand hätte den Mut, uns aufzunehmen. Ich könnte es auch von keinem verlangen«, setzte sie verzweifelt hinzu. »Nun ist es um uns geschehen. Wenn sie auch uns holen – muss ich sterben.« Sie brach in Tränen aus.
    Inzwischen waren die übrigen Hausangestellten wach und beeilten sich, die Fensterläden zu sichern. Türen wurden verriegelt. Hayden hielt diese Maßnahmen für äußerst fragwürdig. Falls die Jakobiner wirklich hierher kämen und alles verriegelt vorfänden, würde das ihren Zorn nur noch mehr entfachen. Vermutlich würden sie dann alle Bediensteten verschleppen – vielleicht sogar einen schwachen Seeoffizier.
    Rasch wurden alle Kerzen gelöscht, ehe sich die Bewohner des Hauses im Wohnraum einfanden – nur Charlotte fehlte. Man hatte sie nicht geweckt, und so schlief sie noch in ihrem Bett, behütet von ihrem Kindermädchen. Stumm standen sie alle in der dunklen Stube, in der man ein Fenster geöffnet hatte, damit man rechtzeitig das Herannahen der Jakobiner hören konnte.
    Ein dünner Faden Licht des abnehmenden Mondes kroch langsam über den Dielenboden, ein Windhauch wehte herein und brachte Gerüche vom nahe gelegenen Gehöft mit sich. Keiner sagte ein Wort. Einige hielten sich an den Händen, andere saßen abseits in einer Ecke, aber niemand schlummerte ein, auch wenn alle mitgenommen und erschöpft aussahen. In einer dunklen Ecke hockten zwei Frauen und wisperten ihre Ängste zu Gott und der Heiligen Jungfrau.
    »Ich hätte sie schon längst wegschicken müssen«, murmelte Madame Adair und merkte offenbar nicht, dass sie ihre Gedanken aussprach.
    Die Standuhr vorn in der Diele maß die Stunden der endlosen Nacht – ein strenges, monotones Klacken. Als es wieder zur vollen Stunde schlug, kamen die Töne in einem so großen Abstand, dass Hayden sich fragte, ob jemand vergessen hatte, die Uhr aufzuziehen.
    Irgendwann in der Nacht waren draußen Schritte auf dem Weg zu hören, ein rasches, vernehmbares Vorwärtseilen. Die Schritte hielten auf dem Schotter inne, der vor der Eingangstür verstreut lag. Eine Faust hämmerte gegen das Holz.
    »Madame!«, drang ein atemloses Flüstern herein. »Ich bin es – Prévost.«
    Madame Adair eilte zum Fenster. »Prévost«, sprach sie, »was gibt es?«
    »Sie haben den Doktor. Und sie kommen hierher.«
    »Ziehen sie nach Brest, Prévost? Oder wollen sie zu meinem Hof?«
    »Das weiß ich nicht, Madame. Hoffen wir, ihr Ziel ist Brest. Ich muss fort. Viel Glück, Madame. Möge Gott mit Ihnen sein.«
    »Und mit Ihnen, Prévost.«
    » Merci , Madame.« Die Schritte verklangen. Vielleicht, so Hayden, floh der Mann über die Felder und verbarg sich in den Schatten der Hecken, wie er es vor gar nicht langer Zeit unweit von hier getan hatte.
    Die Dame des Hauses blieb am Fenster stehen, stützte sich mit beiden Händen auf dem Fenstersims ab und lehnte sich hinaus – sie lauschte. Hayden durchmaß die Stube und trat neben Madame Adair, eine Hand auf dem Sims, die andere am Fensterrahmen. Er hörte die Frau atmen – in kurzen Abständen sog sie die Luft ein, als wären ihre Lungen bereits voll und könnten nichts mehr aufnehmen.
    Ein leises Rauschen ging durch die Weiden, der Wind seufzte in den Zweigen, doch dann, aus der Ferne, ein dumpfes Klappern – Hufschlag.
    Madame Adair warf einen Blick auf Hayden, und in ihren Augen lagen so viel Furcht und stummes Flehen, dass Hayden das Bedürfnis verspürte, die Frau in den Arm zu nehmen. Aber was konnte er schon gegen den Irrsinn der Jakobiner ausrichten?
    Von der Allee drangen Stimmen herüber zum Haus – Hayden glaubte, dass es zu einem Wortwechsel gekommen war, aber da war er sich nicht sicher. Eine Weile tat sich nichts, doch dann lenkten Reiter ihre Pferde über den festgestampften Weg zum Wohnhaus. Erneut überlagerte eine Stimme die der anderen Männer.
    »Das ist der Doktor!«, flüsterte eine der Dienstmägde. Sie war von ihrem Stuhl aufgestanden

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