Zu feindlichen Ufern - [3]
werden es schaffen, Capitaine .«
Aber Hayden war bereits wieder in das Reich des Schlafs geglitten und streifte im Schatten der Bäume durch den Wald. Einzelne Mondstrahlen erfassten den am Boden wabernden Nebel. Die Nachtigall hob an zu singen.
Als er wieder aufwachte, spielte das warme Sonnenlicht auf seinem Gesicht. Er rollte sich auf die Seite und hielt sich den Arm vor die Augen. Wo war er nur? War wirklich ein Doktor an seinem Bett gewesen oder hatte er auch das nur geträumt? So viele Träume hatte er durchlebt, und alle ließen ihn verwirrt zurück.
Sein Blick fiel auf den Flechtstuhl, den man an die Wand geschoben hatte. Sein kleiner Schutzengel war nicht da. Mit Mühe richtete er sich ein wenig auf, bis ihm so schwindlig wurde, dass er sich wieder hinlegen musste. Offenbar hatte man ihn gehört, denn im Türrahmen erschien eine Frau. Sie zögerte, trat dann aber ein.
»Sind Sie wach, Capitaine ?«
»Ja. Wie viele von dem Wrack haben überlebt, Madame? Können Sie mir das sagen?«
»Nur sehr wenige, so leid es mir tut. Wie ich hörte, einhundert oder einhundertzwanzig. Und ein paar Anglais – Gefangene.«
»Fünfhundert Tote …«, brachte Hayden heiser hervor. »Kann ich etwas Wasser bekommen?«
»Ja, sicher, und etwas Suppe und Brot. Sie haben seit drei Tagen kaum etwas zu sich genommen.«
»Ich habe aber etwas gegessen?« Er war überrascht. »Daran kann ich mich gar nicht erinnern.«
»Sie wandelten an der Grenze zum Reich der Toten, Capitaine .« Sie lächelte. »Ich denke, Sie sind eben erst von dort zurückgekehrt.«
Hayden nahm wahr, dass der Uniformrock eines französischen Kapitäns an einem Haken an der Wand hing.
»Den habe ich gewaschen, Capitaine «, erklärte sie, da sie seinem Blick gefolgt war. »Er war schmutzig, von Salzwasser verkrustet und musste genäht werden. Sie werden sehen, an meiner Nähkunst gibt es nicht viel auszusetzen.«
Hayden versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich bin mir sicher, dass Sie recht haben, Madame. Merci .«
Sie machte einen Knicks und verließ den Raum.
Die halten mich für einen französischen Offizier , dachte er. Für einen Kapitän!
In seinem gegenwärtigen Zustand vermochte er nicht einzuschätzen, ob diese Rolle von Vorteil für ihn war oder ob er sich auf ein gefährliches Spiel einließ – das ihn das Leben kosten könnte. Wenn man ihn der französischen Marine übergab, würde er sofort auffliegen – man würde ihn gewiss für einen Spion halten! Aber wenn ihm nur ein paar Tage blieben, um sich weiter zu erholen – Wickham, Hawthorne und er hatten schon einmal auf französischem Boden ein Boot entwendet und waren damit in See gestochen. Flucht war nicht unmöglich. Sein matter Geist klammerte sich an diese Aussicht. Vielleicht bestand doch noch die Möglichkeit, Benoîts Nachricht an die Admiralität weiterzuleiten. Brest konnte nicht weit entfernt gewesen sein, als die Droits de l’Homme auf das Riff gelaufen war. Die britischen Fregatten, auf die er all seine Hoffnungen gesetzt hatte, mussten irgendwo in diesen Gewässern kreuzen. Ein kleines Boot würde ihm schon reichen, um zu den Schiffen der Royal Navy zu gelangen.
Diese Aussicht war allemal besser, als monatelang in einem französischen Gefängnis zu hocken und auf den Gefangenenaustausch zu warten. Und was wäre, wenn es den Franzosen inzwischen gelungen war, den Ärmelkanal zu überqueren? Sein Name wäre mit Schmach und Schande behaftet, wenn die Admiralität erführe, dass er derjenige war, der versagt und die Warnung nicht rechtzeitig hatte übermitteln können.
Mit dieser schwachen Hoffnung auf Flucht stand sein Entschluss fest. In ein französisches Gefängnis zu müssen, stand außer Frage. Falls man ihn im Verlauf der nächsten Tage durchschaute, so würde er behaupten, ihm sei nicht klar gewesen, dass man ihn für einen Franzosen gehalten habe – es sei einfach ein Missverständnis, da er des Französischen mächtig sei. Das Vorhaben war nicht ohne Risiko, aber so lange man ihn noch für sehr schwach hielt – im Augenblick besaß er noch nicht die Kraft für eine Flucht –, könnte er Unwissenheit vortäuschen. Sobald er sich ausreichend erholt hätte, würde er genauer über seine Flucht nachdenken. Auch da würde er sich als Franzose ausgeben, bis man seine wahre Identität entdeckte.
Eine Hausangestellte brachte ihm Brot und Suppe. Hayden aß mit erstaunlich geringem Appetit und zwang sich nach dem Essen, das Bett zu verlassen. Auf wackligen
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