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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Beinen schlurfte er zum Fenster. Das Haus war größer, als er erwartet hatte. Von seinem Fenster im ersten Stockwerk aus überblickte er einen Garten. Jenseits davon erstreckten sich Felder bis zum Horizont – ein leicht hügeliges Gelände. Lange Hecken, durchsetzt mit Bäumen und Buschwerk, säumten die Ackerflächen und liefen ohne erkennbares Muster in die Ferne.
    Die Gegend kam ihm vertraut vor, da er Jahre seiner Jugend in der Bretagne verbracht hatte – an Orten, die womöglich nicht allzu weit entfernt lagen. Er konnte sich indes nicht lange auf den Beinen halten und taumelte zurück zum Bett, von Schwindel erfasst. Ihm war übel, der Schweiß brach ihm aus.
    »Merde« , wisperte er.
    »So etwas sagt man nicht, Monsieur .«
    Hayden drehte den Kopf und sah das kleine Mädchen, das wieder auf dem Stuhl saß. »Entschuldige, ich dachte, ich wäre allein.«
    »Sie sind nie allein, Monsieur . Gott hört immer zu.«
    »Hat er denn nichts Besseres zu tun?«
    »Nein, Monsieur , hat er nicht. Gott hört jedes Wort, auch wenn Sie noch so leise wispern.« Sie betrachtete ihn eine Weile, mit dem ernsten Eifer eines Kindes. »Ich habe für Sie gebetet«, ließ sie ihn wissen.
    »Danke, Mademoiselle , das war sehr nett von dir.«
    »Dadurch konnte ich schon einmal üben. Ich werde nämlich eines Tages Nonne.«
    »Ah, das ist also der Grund, warum der Herr deine Bitte erhört und mein elendes Leben errettet hat.«
    Sie nickte kurz, als wollte sie sagen »vielleicht«. »Wer ist Henry?«, fragte sie unvermittelt. Sie sprach es französisch aus, ohne H – Enri .
    »Das weiß ich nicht. Wer soll das sein? Enri? «
    Sie zuckte mit den Schultern. »Das haben Sie dauernd gesagt, als Sie Fieber hatten. Ist das Ihr Bruder?«
    »Ich habe gar keinen Bruder. Auch keine Schwester. Was habe ich denn noch so gesagt?«, forschte er vorsichtig nach.
    Wieder Schulterzucken. »Es ergab keinen Sinn. Mama sagt, dass man nicht auf das hören soll, was ein Mensch im Fieber sagt.«
    »Ja, in diesem Punkt hat deine Mutter gewiss recht.«
    Einen Moment lang blickte die Kleine nachdenklich drein, als wäre diese Vorstellung neu für sie. »Haben Sie wirklich die Pforten des Himmels gesehen? Der Doktor meinte das. Sind die Himmelspforten wirklich aus Perlen?«
    Hayden war im Begriff, dem Mädchen irgendeine fantastische Geschichte aufzutischen, von den Himmelspforten und dem Chor der Engel, aber dann besann er sich eines Besseren. Die Kleine blickte so ernst drein und schien an seinen Lippen zu hängen. »Nein«, sagte er dann, »die Pforten habe ich nicht gesehen, leider.«
    »Oh.« Sie sah furchtbar enttäuscht aus. »Ich habe mir schon gedacht, dass er mich nur auf den Arm nehmen wollte. Manchmal tun Erwachsene das.«
    »Ja, das tun sie wohl manchmal, aber ich habe dir die Wahrheit gesagt.«
    Sie nickte, schaute ihn aber nicht an. »Wenn Sie die Pforten gesehen hätten, dann gäbe es doch keine Zweifel mehr, oder? Dass es den Himmel gibt, meine ich.«
    »Ja, und es wäre eine tröstliche Gewissheit.«
    »Unten im Dorf, da lebt ein Mann. Und der hat erzählt, dass er für tot gehalten wurde und dass er zu den Pforten des Himmels hinaufgeschwebt sei. Die Pforten öffneten sich, um ihn zu empfangen, aber dann hat ihn ein Engel zurück zur Erde geschickt. Er meint, dass er noch eine große Aufgabe zu erledigen hat. Doch er weiß noch nicht, welche. Komisch, aber nichts, was dieser Mann sonst so erzählt, glauben die Leute. Aber das mit den Pforten, das glaubt jeder.« Sie schaute wieder zu ihm auf. »Ist das nicht komisch? Warum sollte er da die Wahrheit sagen, wenn er doch sonst angeblich immer lügt?«
    »Weil man vielleicht keine Lügengeschichten über den Himmel erzählt?«
    »Ja, das könnte sein. Aber er erzählt auch, dass König Louis noch lebt und durch Frankreich reist, verkleidet als Kesselflicker. Glauben Sie das auch?«
    Hayden lachte leise. »Du denn?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es wäre bestimmt schwer, durchs Land zu reisen, so ganz ohne Kopf. Das würde doch jedem auffallen.«
    »Genau das wollte ich auch gerade sagen. Das Dorf, von dem du gerade sprachst – wie heißt es doch gleich?«
    »Das wissen Sie nicht?«
    »Ich weiß ja nicht, wo ich bin und wie ich hierherkam.«
    »Das Dorf Quimper ist gar nicht weit weg. Ich bin dort schon oft gewesen.«
    »Dachte ich mir. Du siehst wie eine Reisende aus.«
    »Glauben Sie?«
    »Oh, ja.«
    »Ich hoffe, dass ich eines Tages bis nach Domrémy-la-Pucelle reisen darf, wo Jeanne d’Arc

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