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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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überrascht mich sehr. Sie entstammen einer ansehnlichen Familie, nehme ich an, haben exzellente Manieren. Ich denke, dass manch eine Mutter sich wünscht, dass Sie eines Tages ihr Schwiegersohn werden.«
    »Wenn dem so ist, so verbergen sie ihre Hoffnung gut.«
    »Kommen Sie, Capitaine , seien Sie nicht scheu. Gibt es da denn keine junge Dame, die Sie bald glücklich machen werden?«
    Bei diesem Thema überkam ihn eine drückende Trostlosigkeit. Denn selbst in seiner gegenwärtigen Lage war die Angelegenheit mit Henrietta nie weit von seinen Gedanken entfernt gewesen. »Doch, es gab da eine junge Dame, aber sie hat mich sehr unglücklich gemacht – zumindest eine Zeit lang.«
    »Ah, die Liebe ist nie eine einfache Reise, Capitaine . Jedenfalls nicht für die Weichherzigen, so viel ist sicher. Aber es werden noch andere junge Frauen kommen – die Ihnen mehr Verständnis entgegenbringen, da bin ich mir sicher. Wissen Sie, was meine Mutter mir einst sagte? Die Schönheit vergeht rasch und der Zauber verfliegt irgendwann, aber ein gutes Haus und ein bescheidenes Einkommen können ein Leben lang andauern.«
    »Sie war romantisch veranlagt, wie ich sehe.«
    »Das war sie wirklich – deshalb gab sie mir diesen Rat mit auf den Weg. Und gerade weil sie so schwärmerisch veranlagt war, litt sie viel Kummer des Herzens.« Sie hob die Schultern und schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Aber wer praktisch denkt, kann ebenfalls Rückschläge erleiden. In der Liebe kann so viel falsch laufen, und nur in den seltensten Fällen geht es gut für die Liebenden aus.«
    Sie schwiegen eine Weile, und im Abendlicht wanderten die Schatten der Bäume langsam über das Gras. Grillen begannen zu zirpen, Frösche aus dem nahe gelegenen Teich quakten um die Wette.
    »Was ist das für ein Gefühl, wenn man eine Tochter hat, die eine Heilige werden möchte?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
    Madame Adair lachte unvermutet, und Hayden glaubte zu sehen, dass in diesem einen Augenblick viele Jahre des Kummers aus den Zügen von Charlottes Mutter wichen. »Es ist manchmal schwierig, ihren Erwartungen gerecht zu werden, Capitaine , das muss ich zugeben. Aber ich habe ihr erzählt, dass Heilige anderen Menschen oft Fehler verzeihen.« Ihr Lächeln schwand.
    »Dann sollte ich vielleicht besser nicht allzu lange hier verweilen«, meinte Hayden. »Denn sonst enttäusche ich die Kleine noch.«
    »Haben Sie es sich zur Angewohnheit gemacht, das weibliche Geschlecht zu enttäuschen, Capitaine Mercier?«, fragte sie spielerisch-neckend.
    »Nie mit Absicht, Madame. Nie mit Absicht.«
    Seit er im Haus von Madame Adair aufgewacht war – für ihn gab es keinen Charles Adair –, war er jeden Abend so vollkommen erschöpft ins Bett gefallen, dass er sich fragte, ob sein Herz weiter schlagen würde. Trotzdem wachte er oft mitten in der Nacht auf und konnte nicht wieder einschlafen, da ihm kalt war. Albträume plagten ihn: Er sah sich wieder auf dem Wrack, wurde von einer Strömung in den Rumpf gezogen oder schwamm endlos zwischen den Decks, inmitten des Treibguts, dem er nicht mehr ausweichen konnte. Mehrmals träumte er, die Franzosen würden in England einfallen und die Nation unvorbereitet überrennen.
    Mit trockenem Mund lag er in der dunklen Kammer, geplagt von Kopfschmerzen und einer zähen Mattigkeit, die ihn lähmte. Seitdem er mit Madame Adair Kaffee im Garten getrunken hatte, verlief für Hayden eine Nacht wie die andere. Er lag wach, fühlte sich unwohl, litt unter Beklemmungen und wünschte, er könnte die Nachtigall wieder singen hören.
    Plötzlich saß er kerzengerade im Bett, als heftiges Pochen unten an die Haustür bis in seine Kammer drang. Er hörte eine gedämpfte Stimme. Jemand drängte in flehendem Ton, die Tür zu öffnen.
    Hayden saß reglos in der Dunkelheit und lauschte. Eine zweite Stimme war im Haus zu vernehmen – offenbar ein Bediensteter. Madame Adair wurde gerufen. Hayden löste sich aus der Starre, zog sich rasch an und stolperte die enge Stiege nach unten, unsicher auf den Beinen und von Schwindel benommen. Als Madame Adair die Tür entriegelte und die Kerze anhob, zwängte sich eine verängstigte Frau durch den Spalt und wartete gar nicht ab, dass die Tür ganz geöffnet wurde. Eine Hausangestellte drückte die Tür wieder zu und schob den Riegel vor.
    »Sie haben Madame festgenommen!«, stieß die Frau schwer atmend hervor.
    »Mon Dieu!« , hauchte Madame Adair und hielt sich vor Schreck eine Hand an den Hals.

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