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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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draußen die kühle Abendluft genießen wollte. Kleine Steine knirschten unter seinen Stiefelsohlen, als er zu der Grasfläche ging und den Duft des Aprilabends einsog, der so berauschend auf ihn wirkte wie das Parfum einer Dame.
    Kurz darauf stand er an der Stelle, von wo aus man den Blick weithin über das sanft abfallende Land schweifen lassen konnte. Eine schwache Brise spielte auf seinem Gesicht. Einen Moment lang schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, schien die Dunkelheit noch dichter aus dem feuchten Gras aufgestiegen zu sein.
    Madame Adair stand plötzlich neben ihm. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sich ein Tuch um die Schultern gelegt. Warum er sie nicht über den Schotter hatte kommen hören, wusste er auch nicht.
    »Madame«, grüßte er mit einer kleinen Verbeugung.
    » Capitaine . Ich werde diese Aussicht furchtbar vermissen.« Sie verstummte für eine Weile. Die ersten Nachtvögel schwirrten durch die Luft, hier und da waren Sterne zwischen den Wolken zu sehen. »Ich hoffe nur, dass sie Charlotte nicht wecken. Ich werde keinen Widerstand leisten, damit sie nicht von Lärm gestört wird. Werden Sie noch ein wenig bei mir sitzen, Capitaine Mercier? Wenn die Häscher kommen, möchte ich hier warten, unter meiner Lieblingskastanie.«
    »Sicher, ja.«
    Sie wandte sich ihm zu und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Danke, Capitaine , für alles, was Sie getan haben. Wenn ich ein Kind bekomme, so sollen Sie wissen, dass ich es – Junge wie Mädchen – mit all meiner Liebe großziehen werde.«
    »Danke, Madame. Ich werde beten, dass man Sie verschont.«
    Sie nickte zum Dank.
    Sie stellten die Stühle so hin, dass sie in südwestliche Richtung blickten, wo die letzten Strahlen des Abends am Horizont verblassten.
    Eine Bedienstete brachte ihnen Kaffee und eine Decke für Madame Adair, in die sie sich hüllte. Sie sprachen wenig, doch als es stockdunkel war, ergriff Madame Adair Haydens Hand und hielt sie zärtlich fest. Die Nacht verging, die Uhr in der Diele zählte jede Stunde mit dumpf tönendem Klang, als kämen die Schläge aus großer Ferne.
    Die Mitternachtsstunde kam und verging. Hayden wagte zu hoffen, dass Madame Adair verschont worden war – offenbar kamen die Jakobiner nicht mehr. Doch dann, bevor es zur halben Stunde schlug, hörte man Hufschlag und gedämpfte Stimmen. Fackeln wurden sichtbar und beleuchteten Männer auf Pferden.
    Madame Adair drückte Haydens Hand fest, zog sie einen Moment an ihre Lippen, fasste sich dann jedoch und erhob sich. Auch Hayden stand auf, und sie drehte sich zu ihm um und schmiegte sich an ihn. Schließlich löste sie sich von ihm, gab ihm einen scheuen Kuss auf den Mund und ging über die Grasfläche zu dem Tor, das zu der Allee führte.
    Hayden folgte ihr – er durfte nicht zulassen, dass sie dem Mob allein ausgeliefert war. Unmittelbar vor dem Tor blieben sie stehen und sahen, wie die Fackeln näher kamen und die Reiter in ein blutrotes Licht tauchten. Viel zu schnell hatten diese Männer das Tor erreicht und stiegen von den Pferden. Es waren sechs Mann – Soldaten, wie Hayden sogleich sah.
    »Madame Adair?«, fragte einer der Männer.
    »Ja«, brachte sie atemlos hervor. »C’est moi.«
    »Das ist er«, warf einer der Männer ein. Er trat in den Lichtkreis der Fackeln – ein französischer Marineoffizier. »Das ist Capitaine Hayden von der Themis . Ich würde ihn überall erkennen.«

K APITEL FÜNFZEHN
    Seinen Mantel hatte er nicht bei sich. Man hatte Hayden so rasch fortgebracht, dass ihm keine Zeit mehr geblieben war, den Uniformrock des französischen Kapitäns aus seinem Zimmer zu holen. Die Abendluft war kühl, aber nicht kalt, und nach den furchtbaren, eisigen Nächten auf dem Wrack glaubte Hayden, dass er es aushalten würde.
    Er saß im hinteren Bereich eines Karrens und sah vor sich den Marineleutnant, der eine Pistole in der Hand hielt. Auf dem Kutschbock saßen der Kutscher und ein weiterer Soldat. Reiter trabten neben dem Fuhrwerk her, ebenfalls Soldaten, darunter ein Leutnant oder Hauptmann. Hayden konnte es in der Dunkelheit nicht genau erkennen.
    Den Ausdruck auf Madame Adairs Gesicht würde er nie vergessen, als er der Behauptung des Leutnants nicht widersprochen hatte.
    »Nein, nein!«, hatte sie protestiert. »Das ist Capitaine Mercier!«
    Aber er war es eben nicht. Sie hatte ihn angesehen, zunächst überrascht, dann jedoch verzweifelt. Hayden war nicht entgangen, wie verraten sie sich gefühlt hatte. Ihm

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