Zu feindlichen Ufern - [3]
war furchtbar elend zumute gewesen, als man ihn auf den Karren lud.
Mit einem Mal schien es zu seiner Person zu gehören, dass er das ihm entgegengebrachte Vertrauen missbrauchte. Er hatte Henrietta verraten, dann seine Männer im Stich gelassen und jetzt Madame Adair vor den Kopf gestoßen. Sie hatte ihm ihr Vertrauen geschenkt. Für ihn, der immer stolz darauf war, ehrenvoll zu handeln – und dafür bereit war, Opfer zu bringen –, war dies ein eigenartiges Gefühl. Wer würde jetzt noch wohlwollend von ihm sprechen? Selbst Philip Stevens könnte ihm seine Unterstützung entziehen.
Während der Karren weiter dem Verlauf der Straße folgte, sprachen die Männer auf dem Kutschbock leise miteinander. Gelegentlich lachten sie. Auch die Männer auf den Pferden stimmten in das Lachen mit ein. Man hatte ihn nicht gefesselt oder in Eisen legen lassen, aber vielleicht nur deshalb nicht, weil alle sahen, wie schwach er war. Keiner traute ihm zu, dass er die Flucht ergreifen könnte. Dennoch musste er sich diese Option offen halten.
Sorgen bereiteten ihm indes die örtlichen Behörden. Wie würde man einen Engländer behandeln, der behauptet hatte, ein französischer Marineoffizier zu sein? Inzwischen war Hayden bewusst, wie töricht es gewesen war, sich diese Rolle anzumaßen. Bestimmt hätte er sich nicht auf dieses Spiel eingelassen, wenn er nicht so vollkommen erschöpf und verwirrt aufgewacht wäre. Sollten die Behörden ihn für einen Spion halten und nach Paris schicken, so würde er Frankreich nicht mehr lebend verlassen – und er konnte nicht behaupten, ein Kind zu erwarten.
Nach wie vor war Ruhe die einzige Arznei in Haydens gegenwärtigem Zustand, und daher blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen. Wie gern hätte er sich jetzt einfach lang auf dem Boden des Karrens schlafen gelegt! Die harten Planken hätten ihn nicht gestört, auch nicht die schlechte Federung des Fuhrwerks auf den von Furchen durchzogenen Wegen.
Als Hayden den Leutnant ansah, der ihm gegenübersaß, stellte er fest, dass der Mann ebenfalls noch arg mitgenommen wirkte. Auch er hatte sich offensichtlich noch nicht von dem Unglück auf See erholt.
»Was ist aus Capitaine Lacrosse geworden, wenn ich fragen darf?«, erkundigte sich Hayden.
»Er hat überlebt, Capitaine , aber man bestellte ihn nach Paris.« Der Mann ließ ein Schulterzucken folgen, als gäbe es dazu nichts mehr zu sagen.
»Das tut mir leid«, antwortete Hayden und meinte es ehrlich. Lacrosse war ein Ehrenmann, und es trug nicht zur Verbesserung von Haydens Stimmung bei, erfahren zu müssen, dass der Franzose in Paris in den sicheren Tod gegangen war. An Flucht hätte ein Mann wie Lacrosse offenbar nie gedacht, vielleicht war es ihm auch nicht möglich gewesen – man hatte ihn gewiss nach Paris verschleppt.
»An jenem Unglückstag kam eine schlechte Nachricht nach der anderen«, sagte der Leutnant kopfschüttelnd, »aber vielleicht nicht für Sie, Capitaine . Wussten Sie, dass Ihr Schiff von englischen Kreuzern geentert wurde, ehe es Brest erreichen konnte?«
»Mein Schiff?« Hayden war verwirrt.
» Oui . Die Fregatte – die Themis .«
»Sie wurde von Engländern zurückerobert?«
»So wurde mir berichtet.«
Hayden wäre fast von dem Karren gefallen, so verblüfft war er. Dem stets von Pech verfolgten Schiff des Kapitän Hart war nun doch einmal Glück beschieden gewesen? Er konnte es kaum glauben.
Zwischendurch schlief Hayden immer wieder für kurze Zeit ein und fing sich, wenn er wegzurutschen drohte. Brest – falls das wirklich der Bestimmungsort war – lag noch viele Meilen entfernt. Vermutlich würden sie dort nicht vor Mittag eintreffen.
Es war schon hell, als Hayden aufwachte – von dem heftigen Rumpeln des Karrens auf dem unebenen Weg. Er lag halb auf der schmalen Bank, gegenüber von dem noch schlafenden Marineoffizier, der offenbar seine Pistole verloren hatte.
Erschöpft richtete Hayden sich auf und schüttelte den schmerzenden Kopf. Er konnte sich nicht erinnern, wie und wann er eingeschlafen war, und das beunruhigte ihn. Einer der berittenen Soldaten sah, dass Hayden wach war, und stieß den Leutnant an. Der Mann riss die Augen auf, schaute sich verunsichert um und setzte sich aufrecht hin. Mit hektischen Blicken suchte er den Boden des Karrens ab.
»Wo ist meine Pistole?«
Der Mann, der neben dem Kutscher saß, drehte sich nach hinten und reichte dem Leutnant die Waffe, Griff zuerst.
»Sie hatten Glück. Der
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