Zu feindlichen Ufern - [3]
Leben verehrt. Nun hat er die Gelegenheit genutzt, Henrietta seine Gefühle zu gestehen.«
»Er hat also meine Abwesenheit ausgenutzt, der Schurke!«
»Ich muss ihn in Schutz nehmen, Charles. Er ist wahrlich kein Schurke, sondern ein liebenswerter junger Mann, der Henri sehr ergeben ist. Als er ihr einen Antrag machte, glaubte sie, du habest sie betrogen und eine andere geheiratet. Was dann geschah, Charles, war wohl mein Fehler, wie ich zugeben muss. Mir wurde berichtet, die Themis sei verloren, und später erfuhren wir, die Droits de l’Homme sei auf ein Riff gelaufen. Es galt als unwahrscheinlich, dass du überlebt hattest. Ich schrieb sofort an Elizabeth, die daraufhin alles Henrietta und deren Familie zutrug. Ich war ja nicht dabei, aber Elizabeth versicherte mir, Henri sei vollkommen am Boden zerstört gewesen, als du für tot erklärt wurdest. Frank Beacher ist ihr immer ein lieber Freund gewesen – quasi wie ein Bruder. Du fragst dich gewiss, warum sie Beachers Antrag angenommen hat? Nun, sie wird sich betrogen gefühlt haben und strebte so etwas wie Sicherheit und Schutz an, nachdem sie erfahren hatte, du seist ums Leben gekommen.« Er sah seinen Freund an. »Und jetzt bist du wieder da – du lebst, auch wenn du arg mitgenommen aussiehst.«
Hayden konnte nicht still sitzen bleiben, stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. »Denkst du, dass sich Henriettas Gefühle mir gegenüber während meiner Abwesenheit völlig verändert haben? Wird sie diesen Beacher heiraten, Robert?«
»Also, ich persönlich glaube, dass Henris Gefühle konstanter sind – aber gewiss wird sie Frank Beacher nicht in seinen Gefühlen verletzen wollen. Du musst wissen, Charles, er ist nicht nur ein Freund der Familie, sondern auch ein Gentleman, dessen Werben um Henrietta alle Carthews mit Wohlwollen verfolgt haben – allerdings Elizabeth nicht. Sie hatte offenbar ihre Bedenken.«
»Also ist wenigstens einer auf meiner Seite«, kam es trocken von Charles.
»Du hast mich immer auf deiner Seite, Charles. Ich hoffe, du weißt das. Ich muss noch einmal auf einen Punkt zurückkommen. Ich weiß, dass es dir so vorkommen muss, als habe Beacher deine Abwesenheit in höchst ehrloser Manier ausgenutzt. Aber du darfst nicht vergessen, dass alle davon ausgingen, du habest geheiratet und seist dann gestorben. Solltest du im Stillen in Erwägung ziehen, diesen Mann zum Duell zu fordern, so würdest du dich in den Augen der Carthews bestimmt nicht beliebt machen, am allerwenigsten bei Henrietta. Frank Beacher ist, wie ich schon sagte, wie ein Sohn und ein Bruder für die Familie.«
Natürlich konnte Hayden das Verhalten dieses jungen Mannes nicht gutheißen – aber er begriff auch, dass Robert die Vorgänge im Hause Carthew sehr viel besser verstand und einordnen konnte als er. »Ich weiß, was du meinst, Robert – auch wenn ich versucht bin, ihn herauszufordern. Ich muss aber auch bekennen, dass ich derart ausgelaugt bin, ich denke, ich würde nicht einmal eine Postkutsche mit einer Duellpistole treffen. Ich müsste mich mehr vor Beacher fürchten als er sich vor mir.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Beacher dich herausfordern wird. Nicht, dass ich ihn für schüchtern halte – aber ich denke, dass er in seinem ganzen Leben noch keine Gelegenheit hatte, herauszufinden, ob er tapfer ist oder nicht. Außerdem weiß er, dass Henri dir immer zugeneigt gewesen ist und dass sie ihm nie verzeihen würde, wenn er dir etwas antun würde.«
»Soll das heißen, ich könnte Henri gegen ihn aufbringen, wenn es mir gelingen sollte, ihn dazu zu bringen, auf mich zu schießen?«
»Es wäre alles zu überstürzt.«
»Ich hatte es noch nie gern, wenn auf mich geschossen wurde, und ich habe meinen Schiffsarzt nicht mitgebracht, damit er mich hier an Land zusammenflicken muss.« Hayden schaute aus dem Fenster, in die Richtung, in der er Box Hill wähnte. »Arme Henrietta – was hat sie in all den Wochen durchmachen müssen? Kaum auszudenken!«
Selten in seinem Leben hatte sich Hayden wie ein Heuchler gefühlt – er war stets gewissenhaft in all seinem Handeln gewesen, um sich nie schuldig fühlen zu müssen. Denn Schuld war ein unwillkommenes Gefühl. Doch jetzt verspürte er ein schlechtes Gewissen, ja sogar Reue. Er hatte Henrietta betrogen, und auch noch mit einer Französin – allerdings nicht mit der Frau, wie es alle vermutet hatten. Nicht mit der schönen Héloïse, sondern mit einer verzweifelten Frau, die verheiratet
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