Zu feindlichen Ufern - [3]
nachdenklich, meine Liebe«, bemerkte Robert Hertle und umschloss die Hand seiner Frau.
Robert war unangekündigt eingetroffen, wie so oft, denn in diesen unruhigen Zeiten konnte kein Kommandant voraussehen, wann sein Schiff wieder in den Heimathafen einlaufen würde. Seither war Elizabeth so unglaublich glücklich, dass sie sich bisweilen mädchenhaft vorkam, aber in Wirklichkeit kümmerte es sie nicht.
»Ist das wahr, Liebster? Ich muss eben immer wieder daran denken, wie glücklich du mich mit deiner Rückkehr gemacht hast.«
Das Glück schien an jenem Abend mit Händen zu greifen zu sein, als die Carthews und ihre Gäste beisammensaßen. Doch nicht jeder sah wirklich glücklich aus. Elizabeth ließ ihren Blick über die ihr vertrauten Gesichter gleiten. Bald fragte sie sich, wer außer Penelope mit den jüngsten Wendungen nicht zufrieden sein könnte. Mrs Carthew saß neben ihrer jüngsten Tochter und versuchte, sie aufzumuntern – leider ohne Erfolg. Obwohl die junge Pen sich alle Mühe gab, ein tapferes Gesicht aufzusetzen, schien sie immer wieder den Tränen nah zu sein. Mrs Carthew indes wirkte glücklicher, als Elizabeth je vermutet hätte, wenn man bedachte, dass die Dame des Hauses vor Kurzem noch Bedenken hinsichtlich der Partie zwischen Henrietta und Frank Beacher geäußert hatte. Vielleicht hatten letzten Endes doch ihre mütterlichen Gefühle obsiegt, als sie sich bewusst machte, dass ihre Tochter sich mit einem Gentleman verlobt hatte, den sie seit so vielen Jahren kannte und der über jeden Tadel erhaben war.
Elizabeth schob diese Fragen beiseite. Wer an diesem Abend am glücklichsten war, sah jeder auf den ersten Blick: Frank Beacher strahlte über das ganze Gesicht, als hätte man ihm jeden Wunsch erfüllt, den er sich je in seinem Leben erträumt hatte. Miss Henrietta Carthew würde seine ihm angetraute Frau werden, und daher schien er fast entrückt zu sein in seinen Glücksgefühlen. Er lächelte in einem fort und suchte immer den Blick seiner zukünftigen Braut.
Die arme Pen , dachte Elizabeth. Ein solches Glück mit ansehen zu müssen, ist wie ein Stich ins Herz .
Henrietta saß mit einer fast heiligen Anmut am Tisch und schenkte allen ihr bezauberndstes Lächeln, als habe sie im Kreise der Familie unvorstellbares Glück erfahren – dennoch, hin und wieder entdeckte Elizabeth einen eigenartigen Ausdruck im Blick ihrer Cousine, der jedoch stets rasch wieder verschwand. Dieser Augenausdruck, gepaart mit einer Spannung um die Mundwinkel, verriet Elizabeth – denn sie kannte ihre Cousine wahrlich gut –, dass Henrietta immer noch von Leid und innerer Unruhe getrieben war.
Innere Unruhe waren exakt die Worte, mit denen Elizabeth ihre eigenen Gefühle beschrieben hätte – es ging nicht um die Gefühle, die sie für ihren Ehemann hegte, sondern um das, was sie empfunden hatte, als die Verlobung an diesem Abend verkündet worden war. Obwohl Henriettas Vater ganz im Sinne der Familie (und Beachers Freund Wilder) der Verbindung zugestimmt hatte, wurde Elizabeth das Gefühl nicht los, dass man einen furchtbaren Fehler beging. Nicht, dass sie schlecht von Frank Beacher dachte – wie alle anderen, so war auch sie davon überzeugt, dass er der Inbegriff der Integrität war. Er würde Henri lieben und ehren und alles dafür tun, dass sie glücklich war, da hatte Elizabeth keine Zweifel. Aber – sie empfand keine Freude, nicht einmal moderate Zufriedenheit angesichts der Verlobung.
Denn schließlich war sie es gewesen, die Henrietta in diese Richtung gedrängt hatte, und jetzt bereute Elizabeth diesen Schritt zutiefst. Aber sie vermochte nicht genau zu sagen, was der Grund dafür war. Eine unwillkommene Vorahnung bemächtigte sich ihrer: Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Frank Beacher – mehr noch als Henrietta – in dieser Beziehung unglücklich werden würde. Schließlich erkannte sie den Grund – Henri würde Frank nie so von Herzen lieben können, wie sie es sich jetzt im Augenblick einredete. Gewiss, sie würde ihn zu lieben versuchen, würde ihm den Respekt entgegenbringen, den ein Mann wie Beacher verdiente, und sich alle erdenkliche Mühe geben, damit ihr Ehemann auch glücklich war. Aber immer würde etwas fehlen – sie würde sich ihm nie voll und ganz hingeben, nicht mit Leib und Seele. Frank Beacher wiederum würde sein ganzes Leben damit zubringen, eine Liebe anzustreben, die es nicht geben konnte. Der junge Mann tat Elizabeth jetzt schon leid. Natürlich auch Henri.
Mr
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