Zu feindlichen Ufern - [3]
und obendrein Mutter war. Ihm war nicht entgangen, dass es offenbar alle bereuten, so schlecht von ihm gedacht zu haben, aber im Grunde hatten sie ja sogar recht …
In jener Nacht in der Bretagne hatte er nicht ermessen können, dass er sein Handeln später ganz anders beurteilen, ja, von Herzen bereuen würde. Im Augenblick war ihm elend zumute. Er kam sich wie ein Lügner vor, wie ein Ehebrecher. Da half auch nicht die Ausrede, zu jenem Zeitpunkt sei er noch gar nicht mit Henrietta verlobt gewesen. Er konnte sich nicht mit dem Hinweis auf die Rechtslage herausreden. Er hatte Henrietta betrogen, und dazu noch mit einer Französin.
»Charles …?«
Hayden sah seinen Freund an, der ihn mit offenkundiger Besorgnis musterte.
»Brauchst du einen Arzt?«
»Sehe ich so schlimm aus?«
»Du hast zweifellos viel durchgemacht.«
Schwer sank Hayden auf seinen Stuhl und begann, seinem Freund von all den Vorkommnissen zu erzählen, die sich seit seiner letzten Fahrt ereignet hatten. Er erwähnte auch den Auftrag, der ihn ursprünglich an Frankreichs Küste geführt hatte, und schloss mit den Worten, die Admiralität wisse nun von den militärischen Vorbereitungen der Franzosen bei Cancale. Nur eine Episode ließ er aus, da er Stillschweigen gelobt hatte …
»Sie hat deinen Antrag angenommen, und ihre Familie auch«, legte Wilder seinem Freund dar. »Dein Vater hat zwar noch nicht alle Details des Besitztums geklärt, aber das sind nur Formalien …«
»Das bedeutet nicht, dass die Verlobung nicht aufgelöst werden kann«, antwortete Beacher und seufzte.
»Nein, das nicht, aber du hättest das Recht, einen Zivilprozess anzustreben.«
»Was, ich soll gegen Henrietta und ihre Familie klagen? Sie haben mich stets wie einen Bruder beziehungsweise einen Sohn behandelt. Es würde mir im Traum nicht einfallen, Rechtsmittel einzulegen.«
»Ich will mich da mit dir nicht streiten, aber ein Anwalt würde dir sicher raten, dass du ein Recht auf eine Abfindungssumme hast.«
Beacher tat diese Bemerkung mit einer ungestümen Geste ab. »Ach, es geht mir doch gar nicht um Geld oder Besitz. Ich will Henriettas Hand oder nichts.« Sie hielten sich im Moment in dem Zimmer auf, in dem Mr Carthews naturwissenschaftlich-kulturhistorische Sammlungen allmählich eine Ordnung erhielten. Beacher schaute zu seinem Freund auf und wandte sich halb von dem Skelett eines Primaten ab. »Was denkst du, wird sie zu ihrer Entscheidung stehen oder nicht?«
Wilder schien einen Moment überlegen zu müssen. »Sie ist – dir von Herzen zugetan …«
»Ich bin kein Narr, Wilder! Mir ist schon klar, dass ihre Gefühle ihm gegenüber stärker sind als das, was sie für mich empfindet. Mit der Zeit mag sich das ändern, aber im Augenblick muss ich wie ein gehörnter Narr dasitzen und abwarten, wie andere sich entscheiden werden. Mir wäre natürlich am liebsten, wenn dieser Marineoffizier verschwände. Begreift er denn nicht, dass sie meine Verlobte ist? Er begegnet mir mit Respektlosigkeit, ja sogar Verachtung. Glaub mir, ich bin fast so weit, dass ich zu der Schänke gehe, in der er wohnt, und ihn auffordere, Kent auf der Stelle zu verlassen.«
»Und wenn er Nein sagt? Was dann?«
»Ich habe keine Angst vor ihm, Wilder, ganz gleich, was du denkst. Und was würde das ändern? Wenn ich Henrietta verliere, verliere ich alles. Ich würde meines Lebens nicht mehr froh.«
»Meiner Meinung nach sollten wir jegliche Melodramatik im Theater belassen, wo all diejenigen, die im Namen der Liebe sterben, nach der Darbietung wieder vor den Vorhang gerufen werden. Wir reden hier von deinem Leben, Frank, nicht von irgendeinem ausgedachten Leben. Dieser Mann könnte dich im Duell – töten. Denn du bist es, der ihm im Weg steht. Ich denke, du solltest ihm keine Gelegenheit bieten.«
»Du denkst, ich habe Angst vor ihm, oder?«
»Ich wünschte, es wäre so. Denn dann könnte ich mich darauf verlassen, dass du nichts Törichtes unternimmst. Über eines musst du dir im Klaren sein, Frank: Du bist vielleicht genauso mutig wie er, aber längst nicht so erfahren. Glaub mir, seine Hand wird nicht zittern, wenn er gezwungen ist, auf einen anderen Menschen zu schießen, und an Entschlusskraft wird es ihm auch nicht mangeln. Ich bitte dich, Frank, als dein Freund: Lass dich nicht auf diesen Mann ein und gib ihm keine Gelegenheit, Satisfaktion zu verlangen. Es gibt da auch noch einen kleinen, aber nicht unbedeutenden rechtlichen Aspekt. Er ist Offizier und kann ein Duell
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