Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
das nicht. So tapfer bin ich nicht – das ist mir jetzt bewusst geworden. Ich habe dich schon einmal verloren, Charles, und das war mehr, als ich ertragen konnte. Ich kann das nicht noch einmal erdulden. Es tut mir so leid.«
    Kaum waren die letzten Worte gesprochen, da wandte sich Henrietta von ihm ab und eilte den Weg zurück, den sie gekommen war. Elizabeth kam ihrer Cousine entgegen, hakte sich bei ihr unter und nahm sie dann mit zu dem Pfad zwischen den Bäumen. Nur ein Mal schaute sie zurück, und ihr Blick war voller Kummer.
    Hayden schaute den Frauen schweigend nach und wusste, dass es bei Fragen des Herzens sinnlos war, an die Vernunft zu appellieren. Es nutzte nichts, Argumente anzuführen oder auf andere Beispiele zu verweisen. Man konnte in einem Menschen keine Gefühle erzwingen, wenn sie gar nicht da waren. Entweder Henrietta liebte ihn so sehr, dass sie gewillt war, ihn zu heiraten, oder sie empfand diese Liebe nicht – diese Tatsache würde er mit keiner noch so klug ersonnenen Rede ändern. Da er sich mit einem Mal unsicher auf den Beinen fühlte, setzte er sich ins Gras und schaute weiterhin in Richtung des Pfades, den die beiden Frauen genommen hatten.
    »Komm zurück«, wisperte er. »Komm zu mir zurück.«
    Er wartete eine ganze Stunde, aber als niemand kam, stand er auf und ging langsam zurück zur Schänke. Den ganzen Weg über meinte er, seine Füße nicht richtig auf dem Boden aufsetzen zu können – als habe die Schwerkraft ihn freigegeben, auf dass er zum Himmel hinauf schweben könnte, als Spielball des Windes zwischen den ziellos treibenden Wolken.

K APITEL NEUNZEHN
    Die wenigsten vom Kriegsgericht einberufenen Offiziere, allesamt gestandene Kapitäne der Royal Navy, bedachten Hayden und dessen Crew mit distanzierter Gelassenheit. Manch einer blickte grimmiger drein, als Hayden lieb sein konnte. Von böser Vorahnung geplagt, erwartete Hayden den Urteilsspruch. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er hatte sich so gut wie aufgegeben. Da er die schmerzliche Erfahrung hatte machen müssen, dass die Frau, die er zu heiraten gehofft hatte, ihn für unzulänglich befand, erwartete er nicht, dass die Kapitäne des Kriegsgerichts großherziger sein würden. Um die Wahrheit zu sagen, ihn beschlich das eigenartige Gefühl, dass sich unsichtbare Kräfte gegen ihn verschworen hatten, um ihn zu vernichten – und das dachte ausgerechnet ein Mann wie Hayden, dessen Handeln stets von Vernunft geprägt war.
    War er etwa zu hochmütig gewesen? Oder hatte er sich einer anderen Todsünde schuldig gemacht? Unweigerlich dachte er an Madame Adair und zuckte innerlich zusammen. Gewiss, in diesem Krieg gegen die Franzosen hatte er den Tod manch eines Mannes zu verantworten – aber es hätte ebenso schnell ihn selbst erwischen können. Die höheren Mächte kümmerte es womöglich nicht, dass er sich genauso oft in Gefahr begeben hatte, wie er es von seinen Männern verlangt hatte. Ja, die höheren Mächte hatten ihre eigenen Gesetze, und Hayden wusste nicht, ob der Mensch diese Gesetze überhaupt begriff.
    Er hatte bereits miterlebt, dass andere vom Pech verfolgt wurden. Es war gar nicht so ungewöhnlich, vom Schicksal gezeichnet zu sein. Oftmals hatte er in die Gesichter dieser Unglückseligen geschaut, die verwirrt und verletzt zurückblieben und nicht wussten, wie sie sich gegen die Heimsuchungen des Schicksals zur Wehr setzen sollten. In solchen Augenblicken hatte sich Hayden immer gefragt, was diese armen Teufel im Leben verbrochen hatten, dass ihnen derart übel mitgespielt wurde.
    Und jetzt war er an der Reihe. Er hatte sein Schiff verloren und war dem Tod nur wie durch ein Wunder von der Schippe gesprungen. Aus Mitgefühl hatte er sich dazu überreden lassen, Frauen in Not zu helfen, doch diese Selbstlosigkeit hatte ihn in den finanziellen Ruin getrieben. Und nun hatte er auch die Frau verloren, die er liebte und verehrte. Im Augenblick saß er vor dem Ausschuss und musste sich vor all den Kapitänen für den Verlust der HMS Themis verantworten. Unter normalen Umständen wäre die Verhandlung womöglich kaum mehr als eine Formalie gewesen – er hatte sein Schiff aufgrund der Überlegenheit des Feindes aufgeben müssen, nachdem er alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen hatte, um die Crew und das Schiff zu retten. Es war wirklich großes Pech gewesen – wieder einmal. Wenn er sich vergegenwärtigte, welche Wendung sein Leben genommen hatte, so rechnete er damit, dass seine Feinde in der

Weitere Kostenlose Bücher