Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Einen Moment lang dachte Elizabeth daran, den Kutscher zu bitten, weiterzufahren, doch dann drückte Henrietta Elizabeths Hand. Nach kurzem Zögern ließ sie sich aus der Kutsche helfen, gefolgt von Elizabeth.
    Als sie sich in der Schankstube nach Kapitän Hayden erkundigten, erfuhren sie, der Kapitän sei vor knapp zehn Minuten gegangen, vermutlich in nördlicher Richtung die Straße hinauf. Da die beiden Cousinen glaubten, ihn noch einholen zu können, eilten sie los, Hand in Hand.
    Die nach Norden führende Straße folgte dem Verlauf eines Baches, der sich zwischen uralten Bäumen hindurchschlängelte. Im Sonnenlicht wirkten die Blätter wie glitzernde und zuckende Splitter. Doch den beiden Frauen blieb keine Zeit, das Spiel des Sonnenlichts zu verfolgen. Nach etwa zwanzig Minuten schalten sie sich, nicht die Kutsche genommen zu haben, denn offenbar war Charles’ Vorsprung zu groß. Doch schließlich entdeckte Elizabeth ihn. Zumindest sah sie weiter voraus, an einer Stelle, an der der Weg anstieg, weiße Breeches aufblitzen. Kurz darauf sahen sie das Blau des Marinerocks, als flöge zwischen den Bäumen ein Eichelhäher, auf dessen Flügeln sich die Sonne fing.
    Schnell schlugen sie denselben Weg ein wie Charles, doch warum sie nicht nach ihm riefen, konnten sie sich gewiss selber nicht erklären. Der Weg war nicht zu steil, und nach einer Weile verließen sie den Schutz der Bäume und traten hinaus in die Weite der grasgrünen Anhöhe. Dort stand Charles Hayden, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und ließ seinen Blick über das Tal schweifen.
    »Kapitän Hayden …?«
    Eigentlich hatte Henrietta rufen wollen, brachte indes kein Wort heraus. Daher hatte Elizabeth einspringen müssen.
    »Charles …?«, rief Henrietta schließlich.
    Hayden drehte sich um und war sichtlich überrascht, die beiden Frauen hier im offenen Gelände zu sehen.
    Lizzie drückte ein letztes Mal die Hand ihrer Cousine und blieb in geziemendem Abstand zurück.
    Hayden hätte nicht erstaunter sein können, wenn zwei Waldnymphen seinen Namen gerufen hätten. Er traute seinen Augen kaum. Doch da waren sie wie aus dem Nichts aufgetaucht: Mrs Hertle und Miss Henrietta. Er sah, wie Elizabeth Henriettas Hand drückte und ihre Cousine sanft vorwärts drängte, ehe sie selbst stehen blieb.
    Henrietta näherte sich ihm steif und beinah leblos, blieb einige Schritte von ihm entfernt stehen und sah ihn an. Hayden befürchtete, sie habe Fieber und sei krank, da er die Ringe unter ihren Augen sah.
    »Henrietta, du siehst nicht gut aus.«
    »Es geht mir auch nicht gut, aber ich bin nicht krank. Mein Herz ist krank – das ist alles. Und du, Charles? Was ist dir widerfahren?«
    »Ich erlitt Schiffbruch. In vierzehn Tagen bin ich wieder ganz gesund, du wirst schon sehen. Keine Sorge.«
    »Hunderte müssen ihr Leben verloren haben. Ich danke Gott, dass du nicht unter den Opfern warst.«
    »Ich hatte viel, auf das ich mich bei meiner Rückkehr freuen konnte – so dachte ich zumindest. Es war meine feste Absicht, gleich nach meiner Ankunft in England um deine Hand anzuhalten. Ich hatte allen Grund zu der Annahme, du würdest einwilligen. Stattdessen muss ich feststellen, dass du mit einem anderen verlobt bist. Ist meine Anwesenheit hier nicht länger erwünscht?« Er hatte nicht vorgehabt, so förmlich zu klingen, aber offenbar war es seinem Versuch geschuldet, wenigstens die Würde zu wahren.
    Henrietta senkte den Blick und schloss die Augen, als wollte sie nicht zulassen, dass Hayden ihr bis ins Herz schaute. »Nein, natürlich ist deine Anwesenheit nicht unerwünscht. Ich habe dir unrecht getan, ich weiß. Nie hätte ich diesen Gerüchten um deine Person Glauben schenken dürfen oder auf die Geschichten dieser Französinnen hören sollen …«
    »Ich bin nicht der Inbegriff der Tugend«, unterbrach er sie. »Dich trifft keine Schuld – wenn man die Umstände berücksichtigt.«
    »Das ist nett von dir …« Sie schaute auf und sah ihm fest in die Augen. Ihre Lippen zitterten kaum merklich. »Als ich von deinem Tod erfuhr, habe ich etwas für mich gelernt. Mir ist es eben erst bewusst geworden. Ich könnte diese schlimme Nachricht nicht ein zweites Mal ertragen. Dafür bin ich einfach nicht gemacht. Ich könnte nicht mein ganzes Leben in der Angst leben, dass du im Gefecht stirbst oder verstümmelt oder furchtbar verletzt wirst. Lizzie sagte mir, jedes Mal, wenn Robert zur See fährt, schickt sie ihr Herz mit in den Krieg. Aber mein Herz schafft

Weitere Kostenlose Bücher