Zu feindlichen Ufern - [3]
daher war sie aufgeregt im Haus auf und ab gegangen, bis sie endlich Robert und Mr Beacher zurückkommen sah. Beacher war unversehrt, zum Glück, doch ihr Blick fiel auch auf die beiden Pistolen, die im Gürtel ihres Mannes steckten.
Erst danach machte sie sich auf die Suche nach Henrietta, die sie letzten Endes in der Bibliothek fand. Offenbar war sie im Begriff, das Haus zu verlassen, da sie sich ein Tuch um die Schultern legte. Sie schien die Nacht in der Bibliothek verbracht zu haben und hatte gewiss keinen Schlaf gefunden. Denn sie hatte tiefe Schatten unter den Augen, ihre Haut wirkte blass und fleckig.
»Viel geschlafen hast du wohl nicht, wie?«, erkundigte sich Elizabeth.
»Geschlafen? Wer findet schon Schlaf, wenn er so eine Entscheidung treffen muss?«
»Und wohin gehst du jetzt, meine Liebe?«
Henrietta blickte ihre Cousine an.
»Ich muss mit Charles reden«, sagte sie leise.
»Und was willst du ihm sagen, wenn ich fragen darf?«
Henrietta seufzte und presste die Lippen aufeinander. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn sehen und seine Stimme hören muss, ehe ich mich entscheide.«
»Dann hast du dich also noch nicht entschieden? Nicht für Frank Beacher und nicht für Charles Hayden?«
»Es ging die ganze Nacht hin und her. Erst entschied ich mich für den einen, dann für den anderen, dann wieder von vorne. Ich kann mich nicht erinnern, jemals vor einer solchen Entscheidung gestanden zu haben – beziehungsweise so unentschlossen zu sein. Daher suche ich jetzt das Gespräch mit Charles, unter vier Augen. Später dann mit Frank.« Sie schloss die Augen und fasste sich an die Schläfe. »Lizzie? Kannst du nicht mitkommen? Es schickt sich nicht für mich, Kapitän Hayden allein aufzusuchen.«
»Gib mir einen Moment. Ich komme mit.«
Der Zeiger der Uhr auf dem Kaminsims hatte sich kaum bewegt, da eilte Elizabeth bereits zurück in die Bibliothek. Gemeinsam verließen die beiden Cousinen das Haus, stiegen in die Familienkutsche, die draußen wartete, und hörten, wie beim Anfahren die kleinen Steine unter den Rädern knirschten. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Elizabeth ihren Mann entdeckte, der zusammen mit Frank Beacher die Stallungen verließ. Die Männer blieben stehen und schauten der Kutsche nach.
Die Fahrt ins Dorf dauerte nicht lange. Der Himmel war klar, der Morgen so ruhig und friedlich. Während der Fahrt hatte Henrietta immerzu ihr Umhängetuch geknetet. Sie konnte ihre Finger nicht ruhig halten.
Elizabeth fühlte mit ihrer Cousine. Für eine Frau ihres Alters hatte Henrietta schon manch eine Erfahrung im Leben machen müssen, und alle in recht kurzer Abfolge: Sie hatte sich betrogen gewähnt, hatte vom Tod des Mannes erfahren, der ihr Bräutigam hätte werden können, hatte einen Heiratsantrag bekommen, um schließlich auf wundersame Weise den Mann wiederzusehen, dessen Frau sie ursprünglich hatte werden wollen. Er war zurückgekehrt und von jeglicher Schuld freigesprochen, da sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen hatten. Und jetzt musste sie sich zwischen diesen beiden Gentlemen entscheiden – und überlegen, welcher Weg in ihre Zukunft führen sollte.
»Lizzie?«, fragte sie vorsichtig. »Ist es die Mühe wert? Man ist so lange voneinander getrennt. All die Sorgen, die du hast, weil du einen Marineoffizier liebst. Ich weiß doch, wie angespannt du oft bist.«
»Ich hätte niemand anderen heiraten können als Robert Hertle. Wenn einem also keine andere Wahl bleibt, nimmt man den Kummer in Kauf. So einfach ist das.« Sie sah ihre Cousine an, die so schwer an dieser Entscheidung trug. »Was willst du denn jetzt zu Charles sagen?«
Henrietta schaute zunächst schweigend zum Fenster hinaus, ehe sie sagte: »Ich will versuchen, ihm mitzuteilen, dass ich mich für einen anderen entschieden habe.« Sie mied Elizabeths Blick. »Ich weiß bloß nicht, ob ich diese Worte hervorbringen werde. Wenn ich sie laut sagen kann, dann weiß ich, dass ich mich entschieden habe. Schaffe ich es nicht, dann werde ich Mrs Charles Hayden – falls Charles mich noch will. Er hasst mich bestimmt, weil ich ihm so wenig vertraut habe.«
»Er hasst dich nicht, meine Liebe. Im Gegenteil, ich denke, er ist dir genauso zugetan wie eh und je. In diesem Punkt brauchst du dir sicher keine Gedanken zu machen.«
Die Kutsche kam vor der Schänke zum Stehen, und Henrietta wirkte so unsicher und geschwächt, dass Elizabeth schon befürchtete, ihre Cousine würde der Mut verlassen.
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