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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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ich bin ja noch kaum da, muß mir vor allem einen Kocher besorgen.«
    »Kocher ist wichtig, das sehe ich ein, aber Umschauen ebenso. Komm am Abend hinunter, die Gisl serviert uns ein Prachtmenü, und dabei sage ich dir, was du dir als erstes anschauen sollst und wohin wir dann zusammen gehen werden.«
    Das Prachtmenü bestand aus Kartoffeln mit Ei, die Gisl Kisch unentwegt und unverdrossen für jede beliebige Anzahl von Gästen an jedem beliebigen Tag produzierte. In den nächsten Wochen wunderte ich mich, wie sie und Egon diese Speise überhaupt noch zu sich nehmen konnten. Aber in ihrem Emigrantenhaushalt mußte immer sehr gespart werden.
    Viel später, etliche Jahre nach Kriegsende, las ich unter anderem Erinnerungsbücher der Gattin Franz Werfels und der Sekretärin Lion Feuchtwangers. Dabei erstaunte mich, wie relativ gut, sogar sehr gut die finanziellen Verhältnisse dieser Schriftstellerkollegen unseres Prager Egonek in der schwierigen Zeit im französischen Exil waren, wobei Kisch damals doch auch schon lange einen klanghaften Namen hatte, seine Bücher erzielten große Auflagen in verschiedenen Sprachen, aber Frau Gisl konnte neben den eleganten Damen in literarischen Kreisen bestenfalls durch ihre sprichwörtliche Bescheidenheit auffallen. Die kümmerlichen Verhältnisse der beiden im Versailler Hotel Moderne waren mir ein Rätsel. Aber auch solche Unterschiede bildeten einen Bestandteil der Emigration der »verbrannten deutschen Schriftsteller« in den bewegten und oft unüberschaubaren dreißiger Jahren.
    »Warst du schon im Ballhaus?« wiederholte Kisch zwei Tage später seine Frage, und diesmal nickte ich. »Und hast du das Bild des Mannes rechts oben nicht übersehen? Das vom Arzt Doktor Guillotin, der das Fallbeil erfunden haben soll, nach ihm Guillotine benannt. Man bezeichnete es, weil es blitzschnell funktioniert, sogar als fortschrittliche Einrichtung. Für das 18. Jahrhundert mag das vielleicht gegolten haben, obwohl auch damals ... Aber heute, im zwanzigsten, ist es ein Verbrechen und eine Schande für uns alle, daß es die Nazis skrupellos gebrauchen. Schau ihn dir gut an, den Doktor Guillotin, wenn nun mal sein Porträt in unserer Gasse hängt. – Hast du übrigens schon einen Kocher?«
    Den besaß ich bereits, und als ich ihn zum erstenmal –
    nach dem Vorbild Gisls – in Betrieb setzte, um Kartoffelscheiben zu rösten, bespritzte er mir die mit blauen und gelben Blumen besäte Tapete mit Fettflecken und rief damit meine andauernde Antipathie hervor. Das war zwar schade, aber nicht so arg. Schlimmer war, daß in dieser meiner zweiten Behausung in Frankreich keine hungrigen Mäuse meinen Schlaf störten, sondern die beunruhigende Vorstellung von Doktor Guillotin durch meine Alpträume geisterte. (Mein Nachbar ein Arzt, der das Fallbeil erfunden hat. Mein Gott!)
    Du meinst, ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende, Virginia? Sieht die Welt von deinem Treppenabsatz zwischen Konzertsaal und Bildergalerie so trostlos aus?
    Nach und nach entdeckte ich in Versailles Stellen und Plätze, die mir lieb wurden. Im Schloßpark glaubte ich, besonders in Dämmerstunden, durch das kunstvoll zurechtgestutzte Buschwerk die Herrschaften von einst mit ihren Puderperücken und prächtigen Gewändern zu ihren Liebesabenteuern huschen zu sehen. Eines Tages fand ich auch eine Treppe, die aus der Parkanlage geradewegs in denHimmel führte. Wenn man nämlich unten, sozusagen an ihrem Fuß stand, endete sie in blauem Nichts, und wenn ich dann hinaufstieg, war ich beinahe enttäuscht, auch auf diesem Weg nur in den königlichen Garten gelangt zu sein und nicht zum lieben Gott.
    Kisch hielt sein Versprechen und nahm mich auf manche seiner Streifzüge durch die Versailler Cafés mit. Dort bot er mir dann an: »Willst du mit Danton an einem Tisch sitzen oder lieber mit Voltaire oder Robespierre?«
    »Wie bitte?«
    Er faßte nach meiner Hand und führte mich zu einem der Tischchen. Ein Metalltäfelchen auf seiner Marmorplatte gab Auskunft, wer von den erwähnten Persönlichkeiten hier einmal seinen Stammplatz gehabt hatte.
    »Bleiben wir bei Danton«, schlug ich vor und ließ mich mit einem leichten Kribbeln im Rücken genau vor dem Täfelchen mit seinem Namen auf den Stuhl fallen. Einst saßen solche Größen hier, und jetzt nahm ich, die Lenka aus Karolinenthal und der Melantrichgasse, ihren Stammplatz ein!
    »Gut«, meinte der Rasende Reporter, »bleiben wir hier, und das nächste Mal setzen wir

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