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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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durchaus berechtigt. Allerdings waren die Probleme, mit denen dann auch wir konfrontiert wurden, keineswegs sympathischer, sondern im Gegenteil bösartig.
    Aber vorerst machte ich mir also keine Sorgen, und eines Tages wurde mir eröffnet, man habe endlich ein geeignetes Objekt gefunden.
    »Auch für mich?«
    »Auch für dich.«
    »Wo ist es, und wie sieht es aus?«
    »Phantastisch. Ein Haus, in dem ein Mord stattgefunden haben könnte«, sagte der bekannte Prager Karikaturist und Maler Antonín Pelc genüßlich. Mit seinem pechschwarzen Haar, großen dunklen Augen und kräftiger Nase sah er ein bißchen wie ein assyrischer Fürst aus. Als ich nach dieser Mitteilung erschrocken die Augen aufriß, fügte er beruhigend hinzu: »Vielleicht ist das auch noch nicht passiert. Jedenfalls ist es eine Villa auf dem Montparnasse, ziemlich heruntergekommen, aber sehr schön. Und es gibt dort richtige Ateliers! Bislang bewohnen sie Maler aus Spanien, die jetzt weiter nach Lateinamerika emigrieren, und sowie sie ausziehen, ziehen wir ein. Kannst schon packen, in ein paar Tagen ist es soweit. Du bekommst ein hübsches Zimmer unter dem Dach.«
    Unter dem Dach, wo denn sonst, dachte ich und bereitete meine Habseligkeiten für den Umzug vor, was in Anbetracht meines knappen Besitzes nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Den Kocher ließ ich stehen, wo er war.
    Die Villa in der Notre-Dame-des-Champs Nr. 74 sah romantisch, jedoch nicht unbedingt einladend aus. Ein verwilderter kleiner Garten verstärkte noch ein wenig den düsterenEindruck. Im Haus gab es geräumige Zimmer, zwei hohe helle Ateliers, im Erdgeschoß einen großen Eßraum, der mit der beinahe herrschaftlichen Küche im Souterrain durch einen Speisenaufzug verbunden war.
    Hast du jemals in einer Gemeinschaft gelebt, Virginia? Oder nur in einer schlecht und recht zusammenhaltenden Familie, wie sie immer häufiger in Erscheinung treten? Hat dich jemand verlassen, oder bist du von jemandem fortgegangen? Ist dein andauerndes Hocken auf dem Treppenabsatz eine Notlösung oder ein trotziger Protest? Darf ich bei dir stehenbleiben, oder ist es dir lieber, wenn ich wegschaue?
    Mein Dachzimmer in der tschechoslowakischen Enklave auf dem Montparnasse hatte ein Erkerfenster in das verwilderte Gärtchen. Man hatte mir einen kleinen Schreibtisch hineingestellt, ein Bett war von den spanischen Malern dageblieben. In den ersten Tagen meines französischen Exils hatte ich mir als Trost gegen die jähe Verlassenheit eine winzige blaue Vase angeschafft, die stellte ich auf den Schreibtisch und versuchte, mich in der neuen Behausung heimisch zu fühlen. Da klopfte jemand an meiner Tür.
    Als ich öffnete, stand der böhmische Maler Maxim Kopf auf meiner Schwelle, ein Mann von wuchtiger Gestalt, und hielt einen ziemlich großen, mit Leinwand bespannten Rahmen in den Händen.
    »Ich habe dir ein Bild gebracht«, sagte er zu meiner Überraschung, »das kommt hier über den Kamin und macht das Zimmer gleich freundlicher. Guck manchmal hin, das Bild wartet darauf. Und zurückgeben mußt du es mir erst nach dem Krieg.«
    »Aber ...«
    »Was soll hier ein Aber«, sagte er und tätschelte mir mit seiner großen Hand freundschaftlich die Wange, »so eine kleine Person kann man doch nicht ganz allein lassen.«
    Damit verließ er mich. Was von da an bei mir über demKamin an die Wand gelehnt stand, war eine Südseelandschaft, üppig grün, mit schönen, fremdartigen, weißgekleideten Frauen. Eine scheinbar sorglose, freie Welt.
    Sorglos war das Leben in unserem Maison keineswegs, konnte es ja auch gar nicht sein. Trotzdem war unser Miteinander fröhlich, manchmal sogar richtig ausgelassen, dann wieder nachdenklich und ernst. Im Rahmen der zeitweisen Ausgelassenheit kam es vor, daß ich von einem meiner Mitbewohner mit dem Speisenaufzug aus der Küche in das Eßzimmer im Erdgeschoß expediert wurde, weil ich angeblich nicht mehr Platz brauchte als die große Suppenschüssel für uns alle. Jeder der zehn Einwohner (ich war der elfte und die einzige Frau) ging weiter seiner Arbeit nach, ungeachtet des allgegenwärtigen Drucks, dem sich kein politischer Emigrant entziehen kann. Unter unserem Dach wurden Plakate entworfen und Aufsätze gegen den Faschismus geschrieben, Pläne geschmiedet, Konzeptionen ausgearbeitet. In dem verdunkelten Paris versammelte sich bei uns jeden Abend eine zahlreiche, bunt zusammengewürfelte Gesellschaft tschechoslowakischer Exilanten: Politiker verschiedener Schattierungen,

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